26. Februar 2025
Der BDH sieht den neuen Bundestag in der Verantwortung, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik zurückzugewinnen. Solide Regierungsarbeit sollte jetzt im Fokus stehen.
Die Deutschen haben den 21. Deutschen Bundestag gewählt. Und es war eine historische Wahl, in ihrer Bedeutung allenfalls noch mit den Urnengängen von 1949 und 1990 zu vergleichen. Das war den Bürgerinnen und Bürgern offenbar sehr bewusst: Die Wahl am 23. Februar 2025 hatte mit 82,5 % die höchste Wahlbeteiligung seit fast 40 Jahren. Schon der verkürzte Wahlkampf stand im Zeichen einer allgemeinen Ernüchterung: der Abschwung der Wirtschaft, die Terroranschläge von Mannheim, Solingen, Aschaffenburg und München, die Rede von J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz und die Aufkündigung der amerikanischen Beistandsgarantie setzten in den letzten Tagen und Wochen vor der Wahl die Akzente. Die Themen, auf die die Parteien selbst gesetzt hatten, waren weitgehend zur Makulatur geworden.
Die Union hat diese Wahl gewonnen und vom Wähler einen eindeutigen Regierungsauftrag erhalten, die wahrscheinlichste Konstellation ist eine Zweierkoalition mit der SPD. Aber wie ist das Abschneiden der Parteien zu bewerten? Die beiden traditionsreichen großen Volksparteien CDU/CSU und SPD kommen zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gemeinsam nicht auf 50 % der Stimmen. Beide Parteien fuhren damit das jeweils zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein, das ist schon fast ein historisches Drama. Denn die beiden Fundamente der Bundesrepublik im Innern und nach außen, soziale Marktwirtschaft und Westbindung, sind zunehmend im Wandel und unter Druck. Die Balance zwischen marktwirtschaftlicher Freiheit und sozialer Verantwortung ist ein mittlerweile weltweit populistisch genutztes Spannungsfeld. Und dass die neue Trump-Administration mit knappen Verlautbarungen (und den erratischen Telefonaten des Präsidenten) die politische Nachkriegsordnung endgültig beerdigt hat, hat insbesondere die CDU, zu deren DNA Westbindung und transatlantische Beziehungen gehören, tief erschüttert. Wie will Friedrich Merz als Bundeskanzler mit dem deutlich nachlassenden Interesse Amerikas an Europa umgehen? Selten dürfte der Handlungsdruck auf einen neuen deutschen Regierungschef so groß gewesen sein wie jetzt angesichts der innen- und außenpolitischen Situation.
Der alarmierendste Befund dieser Wahl ist, dass auf extreme Parteien zusammen fast dreißig Prozent der Mandate im deutschen Bundestag entfallen. Die AfD gewinnt mit Abstand die meisten bisherigen Nichtwähler für sich und kann ihr Ergebnis verdoppeln. Die Tendenz, radikale „Lösungen“ breit zu diskutieren ist eine riesige Herausforderung für die Parteien der demokratischen Mitte. Das Schlechtreden der deutschen Demokratie mit zum Teil gezielter Falschinformation hat bei vielen Wählerinnen und Wählern verfangen. Wenn fast ein Drittel der Bürgerinnen und Bürger extreme Parteien wählt, muss das ein Weckruf an die politische Mitte sein! Diese Legislaturperiode ist die vermutlich allerletzte Chance für das demokratische Spektrum, funktionierende Lösungen für dieses Land zu entwickeln. Sollte die künftige Koalition dabei im Klein-Klein verharren, sich im unwürdigen Streit selbst zerlegen wie die gescheiterte Ampel und die drängenden Probleme dieses Landes nicht aus der parlamentarischen Mitte heraus tatsächlich angehen und lösen, wird der weltweite rechtspopulistische Trend auch die politische Landkarte in Deutschland nachhaltig verändern. Soweit sollten wir es nicht kommen lassen! Diese Wahl ist ein klares Signal an die politische Mitte: Sie muss konkrete Lösungen liefern und das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen. Wenn keine Antworten oder Lösungen gefunden werden, werden die extremen Kräfte weiter wachsen.
In den nächsten vier Jahren kommen auf einen Kanzler Friedrich Merz gewaltige Aufgaben zu. Er muss das Land innenpolitisch befrieden, den klaren Erwartungen einer großen Bevölkerungsmehrheit in der Migrationspolitik gerecht werden, die Wirtschaft wieder zum Laufen bekommen und maßgeblicher Motor eines neuen, starken Europas werden, das auch ohne Amerika in einer hart gewordenen Welt bestehen kann, in der Europa im Konzert der Großmächte USA, China und Russland nur noch am Katzentisch zu sitzen droht.
Eile tut deshalb not! Wünschenswert wäre es, dass am Anfang des gemeinsamen politischen Handelns der Koalition erst einmal eine eher schmale Liste mit Aufgaben stünde, die dringend gemeinsam abgearbeitet werden müssen und kein dickes Grundlagenwerk für die nächsten vier Jahre. Gefragt ist jetzt solide und pragmatische Regierungsarbeit, die spürbare Verbesserungen bringt, um die verzagte Stimmung im Land zu drehen und dem Hass, der in den sozialen Netzwerken geschürt wird, entgegenzutreten. Konkretes und zügiges Handeln ist jetzt bei der äußeren Sicherheit, in der Migrationspolitik, bei den Auswirkungen der verkorksten Gesundheitsreform und in der Sozialpolitik gefragt. In jedem Fall wird nach Einsparpotentialen im Haushalt gesucht werden müssen.
Die Krise des Sozialstaats hat sich unter der abgelösten Regierung weiter verschärft, die öffentlichen Haushalte sind immer mehr am finanziellen Limit, die sozialen Sicherungsnetze weisen immer größere Lücken auf. Das Abschmelzen sozialstaatlicher Garantien lässt viele Menschen an der Verlässlichkeit des Sozialstaats zweifeln. Soziale Spaltung, aber immer mehr auch gezielte Desinformation bedrohen grundlegende Konzepte von Solidarität und Gerechtigkeit, auf denen der bundesdeutsche Sozialstaat im Kern beruht.
Um sie zu bewahren, ist es zunächst einmal wichtig, sich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich zu machen. Verloren gegangenes Vertrauen in die Politik lässt sich nur durch einen neuen Realismus zurückzugewinnen. Im Systemwettbewerb zwischen Trumps Oligarchie der Reichen und den autoritären Utopien der Rechten wird der demokratisch legitimierte Sozialstaat nur bestehen können, wenn er funktioniert und erfolgreich ist. Dazu müssen wir uns auch unbequemen Wahrheiten stellen. Reallohnsteigerungen im öffentlichen Dienst wird es ebenso wenig geben wie Steuersenkungen oder eine Ausweitung des Bürgergelds, bei dem sich die Konfliktlinien zwischen den Koalitionären bereits abzeichnen.
Viele Bürger wollen aber zu Recht wissen, wie es sozialpolitisch weitergeht und was die Zukunft der Rentenversicherung, der Pflegeversicherung und unseres Gesundheitssystems ist. Vor allem ohne eine umfassende Reform der Pflegeversicherung, die unmittelbar vor dem finanziellen Kollaps steht, wird es nicht gehen. Hier muss aus der Sicht des BDH vor allem die häusliche Pflege gestärkt werden. Das geht nur, wenn die Pflegeversicherung (so wie 1995 bei ihrer Einführung gedacht) auch alle pflegebezogenen Kosten übernimmt. Dazu dürfen nicht länger versicherungsfremde Leistungen aus den Beiträgen der Versicherten bezahlt, sondern müssen steuerfinanziert werden. Denn wie bei der Rentenversicherung auch, ist auch bei der Pflegeversicherung die Umlagefinanzierung an ihre Grenzen gekommen. Mit dem kurzfristigen Verschieben von ein paar Milliarden Euro oder linken Umverteilungsphantasien ist es deshalb nicht getan. Die finanzielle Grundlage der deutschen Sozialversicherungen muss grundlegend angepasst werden, was ohne Reform der Schuldenbremse oder das Ausweisen von entsprechenden Sondervermögen schwer vorstellbar ist. Dem könnte aber die parlamentarische Sperrminorität von AfD und Linke einen Riegel vorschieben. Vor der neuen Bundesregierung liegen also auch im Bereich der Sozialpolitik riesige Herausforderungen. Der BDH Bundesverband Rehabilitation wird die Umsetzung kritisch und konstruktiv begleiten.
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