Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitsunfälle oder Erwerbsminderung sind Risiken, die über unser Sozialversicherungssystem wie selbstverständlich abgefedert sind. Über 598,7 Milliarden Euro wurden in diesem Bereich des deutschen Sozialsystem im vergangenen Jahr ausgegeben. Wie aber ist dieses System eigentlich geregelt und organisiert? Die Sozialwahlen im Mai 2023 sind uns Anlass, diesen Fragen auf den Grund zu gehen.
Bild: Das deutsche Sozialversicherungssystem – Beispiele für Versicherungsleistungen (Bundeszentrale für Politische Bildung/Lizenz: Creative Commons by-nd/3.0/de)
Die gesetzliche Sozialversicherung ist die wichtigste Institution zur Absicherung gesundheitlicher und sozialer Risiken der deutschen Bevölkerung. Sie ist eine Errungenschaft des Sozialstaates und bietet im Versicherungsfall mehr als 33 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland unterschiedliche Leistungen. Das ist für uns alle eine Selbstverständlichkeit. Meist interessieren wir uns nur dafür, wenn Schwierigkeiten auftreten.
Wie wir aus unserer BDH-Sozialrechtsberatung und -vertretung wissen, ist das System der Sozialversicherung komplex, manchmal für Menschen, die die Leistungen benötigen, kaum durchschaubar. Ein Blick auf die Grundlagen:
Eine Fülle von gesetzlichen Paragraphen regeln Leistungen der Sozialversicherung. Gesetzliche Grundlage für das Sozialsystem ist das Sozialgesetzbuch (SGB). Dieses gliedert sich in insgesamt 13 Teile (SGB I bis XII; SGB XIV). In jedem Teil sind spezifische Sozialleistungsbereiche geregelt, wie Krankheit, Pflege, Arbeitslosigkeit, Unfälle oder Behinderung oder soziale Not.
Das deutsche Sozialversicherungssystem ist ein sogenanntes gegliedertes System. Es gibt mehrere Träger mit unterschiedlichen Funktionen und Zuständigkeiten:
Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.
Im Krankheitsfall soll die Krankenversicherung die entsprechenden notwendigen Behandlungsleistungen zur Verfügung stellen und durch individuelle Maßnahmen (Stationäre Rehabilitation ambulanter Reha-Sport, Ernährungsberatung etc.) vor Erkrankungen schützen und diese lindern. Auch die Familienangehörigen der Versicherten sind grundsätzlich kostenfrei mitversichert.
Die Pflegekassen, welche den gesetzlichen Krankenkassen angegliedert sind, entscheiden über die Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Hierzu schalten sie zur Begutachtung den medizinischen Dienst ein. Sie stellen die Leistungen der ambulanten und stationären Pflege, das Pflegegeld sowie bestimmte Pflegehilfsmittel zur Verfügung. Hierdurch soll das Risiko der Pflegebedürftigkeit sozial abgesichert werden.
Bei Verlust des Arbeitsplatzes sichert die Arbeitslosenversicherung durch Geldleistungen wie Arbeitslosengeld die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Versicherten ab. Die Arbeitsförderung soll dem Entstehen von Arbeitslosigkeit entgegenwirken, die Dauer der Arbeitslosigkeit verkürzen und den Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildung- und Arbeitsmarkt unterstützen.
Die Rentenversicherung zahlt bei Erreichen der Regelaltersgrenze eine Altersrente. Hierdurch soll der Lebensunterhalt gesichert werden. Die Rentenversicherung zahlt beim Erreichen der Regelaltersgrenze eine Altersrente. Sollten die Beschäftigten noch vor Erreichen der Regelaltersgrenze nicht mehr in der Lage sein, eine Beschäftigung auszuüben, so wird unter bestimmten Voraussetzungen eine Erwerbsminderungsrente gezahlt. Auch beim Tod von Familienangehörigen können Rentenleistungen entstehen (zum Beispiel Witwen- und Waisenrenten).
Aufgabe der Unfallversicherung ist es, mit geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten. Nach Eintritt von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten soll die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Versicherten mit allen geeigneten Mitteln wiederhergestellt und sie oder ihre Hinterbliebenen können durch Geldleistungen entschädigt werden.
Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dies können insbesondere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sein sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Teilhabe an Bildung und zur sozialen Teilhabe.
Darüber hinaus gibt es noch den Bereich der Sozialhilfe und der Grundsicherung sowie die Kinder- und Jugendhilfe.
Die Sozialleistungsträger verwalten sich selbst. Damit soll sichergestellt werden, dass auch die Gemeinschaft der Versicherten beteiligt wird und mitwirken kann. Die Selbstverwaltungsorgane sind bei den gesetzlichen Krankenkassen (einschließlich der Pflegekasse) der Verwaltungsrat sowie bei der gesetzlichen Unfallversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung die Vertreterversammlung. Diese Gremien bestehen immer aus Vertreterinnen und Vertretern von Beschäftigten und Arbeitgebern.
Die gewählten Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane üben eine wichtige Kontrollfunktion aus. Sie wählen den Vorstand und wirken mit bei der Prüfung des Jahreshaushaltes und bei der Bereitstellung von zusätzlichen Leistungen.
Die Sozialwahlen leisten einen bedeutsamen Beitrag zur Funktionsfähigkeit des Sozialsystems. Alle sechs Jahre werden die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane neu gewählt. Mit den Sozialwahlen können die Versicherten also ihr Recht wahrnehmen, diese Vertreterinnen und Vertreter mitzubestimmen. Gewählt werden dabei die Mitglieder der Verwaltungsräte der gesetzlichen Krankenkassen sowie die Vertreterversammlungen der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung.
Ausnahme bildet nur die Arbeitslosenversicherung. Als staatsnaher Versicherungsträger werden die Mitglieder der Selbstverwaltung ernannt und nicht gewählt. Eine Wahl findet dort daher nicht statt.