08. Dezember 2023
Menschen mit ungewöhnlichen Erkrankungen müssen manchmal lange um eine gerechte Anerkennung ihrer Schwerbehinderung und die entsprechenden Nachteilsausgleiche kämpfen. So ging es auch einer heute 59-jährigen Berlinerin, die an der neuromuskulären Erbkrankheit Morbus Charcot-Marie-Tooth erkrankt ist. Bis der BDH klagte.
Morbus Charcot-Marie-Tooth gilt als seltene Erkrankung. In Deutschland sind nur etwa 30 000 Fälle bekannt. Bei der neuromuskulären Erbkrankheit führt ein Gendefekt dazu, dass die Weiterleitung der Nervenimpulse gestört ist. Dadurch erreichen Befehle des Gehirns die Muskeln nicht oder nicht richtig. Eine Schwäche und ein Abbau der betroffenen Muskulatur ist die Folge. Dies beginnt in den Händen und Füßen und breitet sich dann zum Körper hin aus. Die Bewegungsfähigkeit nimmt immer weiter ab, oft kommt es zu Sensibilitätsstörungen, Schmerzen und Muskelkrämpfen. Eine Heilung ist bisher nicht möglich.
Auch die 59-jährige Frau H. aus Berlin leidet seit ihrer Kindheit an Morbus Charcot-Marie-Tooth, ihr Vater litt ebenfalls daran. Wie in der Mehrzahl der Fälle sind bei ihr hauptsächlich die Füße und Unterschenkel betroffen. Die wegen des Muskelschwundes auftretenden Veränderungen an den Beinen waren bereits im Jugendalter deutlich wahrnehmbar und wurden im Laufe der Jahre immer schlimmer. Sie entwickelte den sogenannten Storchengang, ein für diese Erkrankung typisches Gangbild. Frau H. kann nicht freistehen und schafft keinen Schritt ohne Stütze oder die Möglichkeit sich z. B. an Möbeln festzuhalten. Gehhilfen kann sie wegen der Fußfehlstellung, der Neigung zu Krämpfen und der fehlenden Kraft in den Händen, die ebenfalls betroffen sind, nicht nutzen. Das Verlassen des Hauses sowie die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist ihr nur mit Begleitung möglich. Da es keine Therapie und Aussicht auf Heilung gibt, befindet sich Frau H. nicht in ärztlicher Behandlung. Zuletzt wurde 1992 von einer Fachärztin eine progrediente Entwicklung der Erkrankung zwischen dem 19. und 29. Lebensjahr der Betroffenen festgestellt. In den letzten 30 Jahren war die Verschlechterung der Gehfähigkeit immer weiter fortgeschritten.
Als ihr bei der Antragstellung im Juli 2022 ein Grad der Behinderung (GdB) von nur 50 und nicht einmal die Merkzeichen „G“ und „B“ zuerkannt wurden, wandte sich Frau H. an den BDH. Doch auch der eingelegte Widerspruch führte zunächst nicht zum Erfolg. Der mehrfache Hinweis, dass eine Begutachtung notwendig sei, um den Gesundheitszustand der Frau H. richtig beurteilen zu können, wurde nicht berücksichtigt. Erst die eingereichte Klage konnte das Blatt wenden. Das Sozialgericht erließ keine Beweisanordnung, sondern wies das Versorgungsamt an, die gewünschte persönliche Inaugenscheinnahme zur Überprüfung des medizinischen Sachverhaltes durchzuführen. Ein Jahr später im Juli 2023 wurde Frau H. endlich eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung mit einem GdB von 80 anerkannt. Zweifellos sind auch die Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“ und „B“ und sogar für das „aG (T)“ erfüllt.