09. August 2023
Verheerend war schon die Flutkatastrophe an der Ahr, die Sebastian K., seine Frau und seine Eltern mit voller Wucht traf. Nur wenige Tage später bekam er den Bescheid des Rentenversicherers, der seine Erwerbsminderungsrente nicht mehr gewähren wollte.
Das ist anderthalb Jahre her, noch immer ist die Familie mit dem Wiederaufbau beschäftigt.
„Dabei geht es uns noch gut. Manche stehen jetzt vor dem zweiten Winter ohne Heizung“, sagt Sebastian K, „Förderanträge sind eine Wissenschaft für sich und Bau-Genehmigungen lassen auf sich warten. Es geht nur schleppend in der Region voran, viele Menschen fühlen sich von der Bürokratie veralbert“.
Das Schicksal der Flutopfer ist angesichts der aktuellen Ukraine- und Energiekrise in den Hintergrund getreten. Für die Menschen dort geht es aber immer noch um weit mehr als um Geld und Wiederbeschaffung von materiellen Gütern. „Mit der Flut sind viele persönliche Erinnerungen untergegangen“, sagt Sebastian K., die Christbaumkugeln der Oma, das Gästebuch von der eigenen Hochzeit und viele Fotos. Nur wenige konnten aus dem Schlamm unversehrt gerettet werden. Mit und nach der Flut kamen auch Angst, Unsicherheit und nicht selten Schlaf- und psychische Probleme wie Flashbacks, getriggert durch Gerüche von nasser Erde, Meeresrauschen oder Baggerlärm.
Sebastian K., seine Frau und seine Eltern, gerieten zudem in eine existenzielle Notlage. Über Generationen hinweg lebt die Familie bereits an der Ahr. In nur einer Nacht verloren sie Haus, Hab und Gut. Wenige Tage später lehnte die Deutsche Rentenversicherung den Antrag von Sebastian K. auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente ab. Zeitgleich verlor seine Ehefrau ihre Einkommensquelle, da durch die Flut das Kurhaus in Bad Neuenahr zerstört wurde, in dem sie als Physiotherapeutin tätig war.
Das Paar geriet in eine verzweifelte Situation mit enormen Zukunftsängsten. Über ein Jahr lang. „Ohne den BDH wären wir da nicht so gut herausgekommen“. Sebastian K. weiß die Juristinnen und Juristen des BDH seit über fünf Jahren an seiner Seite, wie schon seine Eltern, die beide vor Jahren wegen gesundheitlichen Problemen auf die Unterstützung des BDH gesetzt haben. Die ganze Familie schätzt es persönliche Ansprechpartner, kurze Wege nach Bonn und kompetente Beratung im Verband zu haben.
Seitdem der 31-jährige Physiotherapeut 2016 eine seltene Autoimmunerkrankung mit dem Namen Pyoderma gangraenosum bekam, musste er immer wieder den Streit mit den Behörden aufnehmen. Die schmerzhafte Erkrankung der Haut führte bei ihm großflächig zu einer Geschwürbildung und zu einem Absterben der Haut an den Unterschenkeln. Seine Knie sind heute nur noch eingeschränkt beweglich, das Sitzen, Stehen und Gehen fällt selbst unter stärksten Schmerzmitteln schwer. „Operiert werden kann nicht und ein Wundermittel ist auch nicht in Sicht“, so Sebastian K.
Zunächst konnte in der BDH ihn bei der Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft sowie des Merkzeichens „G“ unterstützen. Er vertritt das BDH-Mitglied zugleich in einem sozialgerichtlichen Verfahren gegen seine gesetzliche Krankenkasse. Dabei geht es um die Durchsetzung der Kostenübernahme für eine Arzneimitteltherapie mit zwei Medikamenten, die für diese seltene Erkrankung nicht zugelassenen sind, also im sogenannten Off-Label-Use in der medizinischen Behandlung eingesetzt werden sollen. Der Ausgang des Verfahrens ist noch offen.
Es ist die letzte medizinische Option der behandelnden Ärzte der Uniklinik Mainz gewesen, nachdem sie ein wirksames Medikament wegen zu starken Nebenwirkungen absetzen mussten. Die Überraschung: Die neue Option schlägt an. Die Krankenkasse verweigert allerdings bis heute die Bezahlung. Unverständlich, so Sebastian K., weil auch die Medikamente, die zuvor eingesetzt wurden, sogenannte Off-Label-Use-Arzneimittel waren.
Als nun in dieser Situation die Nachricht kam, dass seine Rente wegen voller Erwerbsminderung aberkannt werden sollte, setzte sich BDH-Jurist Ass. Jur. Rainer Beneschovsky kritisch mit den von der Rentenversicherung eingeholten Gutachten auseinander. Eigentlich lag es deutlich auf der Hand:
Sebastian K. kann weniger als 300 Meter am Stück zurücklegen. Das schwere Schmerzsyndrom, Nebenwirkungen der medikamentösen Behandlung der seltenen Autoimmunkrankheit und mit den Gesundheitsstörungen und den Folgen der Flutkatastrophe verbundenen psychischen Belastungen machen es für den jungen Mann unmöglich, auch nur ansatzweise leichten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Alle seine behandelnden Ärzte kommen zu dieser Einschätzung.
„Derselbe Gutachter der Deutschen Rentenversicherung, der mich 2016 in die Rente geschickt hat, kam aber jetzt zur Einschätzung, dass ich wieder voll arbeiten kann, zwar nicht mehr in meinem Beruf, aber in einem anderen“, so Sebastian K.
Das Widerspruchsverfahren gegen diesen Rentenbescheid dauerte fast ein Jahr. Erst nach Androhung der Anrufung des einstweiligen Rechtsschutzes sowie einer Untätigkeitsklage bewilligte die Deutsche Rentenversicherung mit Bescheid im September 2022 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die dramatische persönliche Situation von Sebastian K. zählt womöglich zu den Ausnahmen. Aber wird hier nicht auch deutlich, dass es immer um Menschen in einer ganz persönlichen Lebenslage geht, die ihre berechtigten Ansprüche gegenüber den sozialen Leistungsträgern haben?
„Wer ihnen lange Wartezeiten und Ablehnungen zumutet, trägt womöglich wenig zur gesundheitlichen Entspannung und womöglich auch zur Verschlimmerung bei. Das sollte man nicht vergessen“, kommentiert Ass. jur. Rainer Beneschovsky, BDH-Rechtsabteilung Bonn das langwierige Verfahren.