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Verbessern Antidepressiva die Funktionserholung nach einem Schlaganfall im ersten Jahr?

04. Juli 2022

Anfang Mai 2020 erfolgte eine zusammenfassende Veröffentlichung, die genau dieser Frage nachging. Eine Gruppe von antidepressiv wirksamen Medikamenten, die Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, nutzt einen bestimmten Botenstoff im Gehirn für seine Wirkung, das sogenannte Serotonin. Durch Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer wird der Botenstoff Serotonin, der vom Gehirn selbst gebildet wird, an den Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen (den „Synapsen“) stärker verfügbar gemacht. Neben seiner Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, hat Serotonin auch einen Einfluss darauf, als wie stark Reize vom Gehirn verarbeitet werden. Nun gibt es viele Hinweise darauf, dass, wenn man durch diese Medikamente das Angebot an körpereigenem Serotonin im Gehirn erhöht, dadurch nicht nur Angst und Depression behandelt werden können, sondern auch unabhängig davon die funktionelle Erholung nach einem Schlaganfall gefördert werden könnte.

Schlaganfall

Goldstandard Cochrane-Review

Zunächst ist das eine theoretische Überlegung und bedarf aussagekräftiger klinischer Studien, meist in Form von randomisierten kontrollierten Studien mit zufälliger Verteilung auf eine Gruppe, die das echte Medikament erhält und eine andere, die das Placebo erhält. Aber selbst einzelne Studien sind meist nicht ausreichend, um für die klinische Entscheidungssituation wirklich beantworten zu können, ob ein Medikament einen bestimmten klinischen Nutzen tatsächlich erbringt. Meist werden einige oder sogar sehr viele Studien durchgeführt. In einem nächsten Schritt möchte man dann im Überblick, im Englischen „Review“, wissen, ob man insgesamt aufgrund der bestehenden Datenlage entscheiden kann, ob und wie viel eine Medikamentengruppe für ein klinisches Problem hilft. Wenn die Studien systematisch zusammengefasst und insgesamt einer neuen statistischen Analyse zugeführt werden, nennt man das einen „systematischen Review“.

Die Cochrane Collaboration ist ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern, die ehrenamtlich solche systematischen Reviews mit besonders guter Qualität entwickeln. Cochrane Reviews gelten oftmals als „Goldstandard“ für solche systematischen Übersichtsarbeiten. So wertvoll diese Übersichtsarbeiten sind, so schwierig sind sie aber für den einzelnen in der Klinik tätigen zu lesen und ihre Relevanz für den klinischen Alltag zu verstehen. Denn diese systematischen Reviews sind sehr textlich sehr lang, methodisch umfangreich und auch etwas „sperrig“.

Daher wird von der Cochrane Collaboration in einer Expertengruppe, die sich „Cochrane Rehabilitation“ nennt, versucht, die Ergebnisse aus systematischen Reviews für Personen, die in der Klinik und in der Praxis tätig sind, zusammenzufassen und dabei auch ihre Relevanz für den klinischen Alltag deutlich zu machen. Für neurologische Themen unterstützt Prof. Thomas Platz, Ärztlicher Direktor Forschung des BDH, die Cochrane Rehabilitation-Gruppe im Auftrag der Weltföderation Neurorehabilitation.

Schlaganfallpatienten ohne Depression profitieren nicht von Antidepressiva

Kommen wir zur Ausgangsfrage zurück: Können Antidepressiva (unabhängig von einer Depressionsbehandlung), wenn sie im ersten Jahr nach einem Schlaganfall verordnet werden, die Funktionserholung verbessern? In einem Cochrane Review der Autoren Legg und Mitarbeitern aus dem Jahr 2019 wird festgehalten, dass insgesamt 63 randomisierte kontrollierte Studien mit 9168 Teilnehmern gefunden wurden, die für diese Fragestellung relevant sind. Damit ergab sich also eine sehr umfängliche Datenlage. 26 dieser Studien mit 5334 Teilnehmern konnten in einer neuen statistischen Analyse zusammengefasst werden. Dabei zeigt sich, dass die Medikation mit einem Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer die Alltagskompetenz der Schlaganfallbetroffenen im Vergleich zu Placebo oder keiner Medikation leicht verbesserte. Der Effekt war nicht groß, aber nachweisbar.

Die Autoren haben aber auch die methodische Qualität der einzelnen Studien untersucht. Wenn sie nur die Studien berücksichtigten, die eine besonders gute Qualität aufwiesen, waren es nur noch drei Studien, aber davon eine sehr große, die für die Betrachtung übrig blieben. Dabei konnten zwei Studien zusammengefasst werden mit insgesamt 2829 Teilnehmern. Bei dieser Analyse war kein Effekt mehr auf die Alltagskompetenz nachweisbar. Auch ein positiver Effekt auf die neurologische Symptomatik (damit ist z.B. das Ausmaß eine Lähmung gemeint) konnte nicht festgestellt werden. Depressivität war durch die Medikation leicht reduziert (die Teilnehmer hatten einen Schlaganfall erlitten, waren aber nicht unbedingt depressiv). Das Medikament war gut vertragen worden, schwerwiegende ernste Nebenwirkungen waren nicht häufiger beobachtet als in den Kontrollgruppen. Gastrointestinale Nebenwirkungen waren jedoch häufiger beobachtet.

Was sagt dieser aktuelle Überblick über sehr viele Studien, die der eingangs genannten Fragestellung nachgehen, für die klinische Praxis? Das Ergebnis ist relativ eindeutig: Wenn es darum geht, die Funktionserholung nach einem Schlaganfall unabhängig vom Vorliegen einer Depression zu fördern, dann sprächen die Ergebnisse nicht dafür, diese Art von Medikamenten zu verordnen. Es sei ausdrücklich erwähnt, dass sie zur Behandlung der Depression auch nach Schlaganfall nützlich sind. Das war jedoch nicht die Fragestellung des systematischen Reviews.

Funktionserholung sollte weiterhin durch eine an den individuellen Belangen ausgerichtete Neurorehabilitation, zunächst stationär, dann ambulant, angestrebt werden. Denn dadurch lässt sich die Alltagskompetenz und Teilhabe am Familienleben, in Gesellschaft und Beruf nachhaltig verbessern.

Für Interessierte ist die englischsprachige Publikation (Zusammenfassung des Cochrane Reviews) im Internet hier hier verfügbar.

Quelle: Platz T. Do selective serotonin reuptake inhibitors (SSRIs) promote stroke recovery within the first year after stroke? ‐ A Cochrane Review summary with commentary. First published: 01 May 2020 ; https://doi.org/10.1002/pmrj.12394