Dr. Vinzenz Fleischer erhält den ersten Löwenstein-Forschungspreis des BDH
Der BDH feiert sein 100-jähriges Bestehen: 100 Jahre aktive Unterstützung von Menschen mit Hirnschädigungen und daraus resultierenden Behinderungen, 100 Jahre Neurorehabilitation mit dem Ziel der sozialen Re-Integration und Teilhabe. Auch Professor Dr. Otto Löwenstein war dem Wohl der Hirnverletzten in seiner ärztlichen Tätigkeit verbunden und hat gleichzeitig über Jahrzehnte daran geforscht, wie Krankheiten des Nervensystems mit seinen Funktionstörungen zusammenhängen, und damit, wie Krankheiten des Gehirns Körperfunktionen verändern. Der Otto-Löwenstein-Forschungspreis möchte junge Wissenschaftler*innen prämieren, die für die Neurorehabilitation und Psychopathologie wichtige wissenschaftliche Impulse durch ihre Forschung gegeben haben.
Die Bewerbungen für den Preis, der erstmalig ausgeschrieben war, kamen aus Deutschland, Italien, den Niederlanden, Neuseeland, Nigeria und den USA. Die Vergabejury mit den Mitgliedern Prof. Dr. David Good (USA), Prof. Dr. Thomas Mokrusch, Prof. Dr. Thomas Platz, Prof. Dr. Jens Rollnik und Prof. Dr. Claus Wallesch haben alle eingereichten Forschungsarbeiten in gleicher Weise und unabhängig bezüglich ihrer wissenschaftlichen Methode, der Ergebnisse, ihrer Relevanz für die Neurorehabilitation und ihres innovativen Charakters bewertet.
Diese Bewertungen wurden von der Jury gemeinsam diskutiert und anschließend dem BDH-Bundesvorstand ein Preisträger zur Ernennung vorgeschlagen: Herr Dr. med. Vinzenz Fleischer aus Mainz.
Die Ausschreibung des Preises machte deutlich, dass weltweit junge Wissenschaftler*innen relevante Forschung betreiben, um so unser Wissen zu erweitern und zukünftig mehr über Schädigungen des Gehirns und ihre Relevanz für die Betroffenen, Erholungsvorgänge und Behandlungsmöglichkeiten zu wissen.
Die Forschung von Herrn Dr. Fleischer ist in diesem Sinne herausragend und es wert, durch den Otto Löwenstein Forschungspreis prämiert zu werden.
Es ist wichtig, dass wir diese Zusammenhänge und Prozesse besser verstehen, dass wir uns vom Gehirn zeigen lassen, wie es seine Funktion trotz einer Schädigung stabilisieren kann. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse sind innovativ und könnten zukünftig auch helfen, Therapie zu optimieren. Wir könnten vom Gehirn lernen, unsere Therapie den Hirnprozessen anzupassen, indem wir auch in der Behandlung „seine Sprache sprechen“.
Der Preisträger Dr. Fleischer hat den Otto- Löwenstein-Forschungspreis des BDH wohl verdient, ihm sei herzlich gratuliert. Seine Arbeit zeigt, wie wissenschaftliche Forschung die Zusammenhänge von Behinderung und Anpassungsvorgängen im Gehirn aufklären kann.
Hierbei handelt es sich um Kenntnisse, die wir dringend brauchen, um diese Erholungs- und Stabilisierungsprozesse auch durch ärztliches und therapeutisches Tun zu unterstützen.
In diesem Sinne sind wir Herrn Dr. Fleischer und allen jungen Wissenschaftler* innen weltweit sehr dankbar für ihr Engagement in der neurorehabilitativ relevanten Forschung zum Wohle der Hirngeschädigten und wünschen ihnen für ihre klinische und wissenschaftliche Arbeit weiterhin besten Erfolg.
Dr. med. Vinzenz Fleischer
Kurzvita
Seine Forschung betrifft die Multiple Sklerose, eine Erkrankung, die oft schubförmig verläuft und bei der bei den Krankheitsschüben Entzündungsherde im Gehirn entstehen, die zu neuen neurologischen Funktionsbeeinträchtigung führen. Diese bilden sich oftmals nur teilweise zurück, so dass im Laufe der Zeit eine stärkere Behinderung resultieren kann. Behinderungen bei Multiple Sklerose sind vielfältig, betreffen u.a. Lähmungen und sonstige motorische Beeinträchtigungen, aber auch eine vermehrte geistige und körperliche Ermüdbarkeit („Fatigue“ genannt).
Herr Dr. Fleischer ist nun der Frage nachgegangen, ob sich das Gehirn bei Multiple Sklerose-Patienten funktionell verändert, auch wenn sie nach ärztlicher Einschätzung klinisch stabil sind, keine neuen Schübe haben und sich auch in der Bildgebung die Hirnstruktur an sich nicht verändert. Kann es aber dennoch sein, dass diese Personen, die durch ihre Erkrankung zumindest schon kleinere Hirnschädigungen erlitten haben, weiterhin auch ohne akute Krankheitsschübe funktionelle Veränderungen in ihrem Gehirn zeigen? Eine solche Beobachtung könnte Anhaltspunkte dafür geben, wie das Gehirn selbst seine Funktion stabilisiert, wenn es eine Schädigung erlitten hat.
Zu diesem Zweck wurden von Dr. Fleischer und seinem Team Multiple Sklerose-Patienten und im Vergleich auch hirngesunde Personen über ein Jahr wiederholt untersucht und zwar mit einer Form der funktionellen Kernspintomographie („fMRI“), bei der die so genannte effektive Konnektivität („Efective connectivity, EC“), also die funktionelle Verbindung zwischen Hirnarealen unter Ruhebedingungen („resting-state fMRI“) untersucht wurde. Dabei wurde analysiert, wie zwischen Hirnarealen, die weiter voneinander entfernt sind, der Informationsfluss der Nervenzellen passiert.
Ändert sich bei klinisch stabilen Multiple Sklerose- Patienten diese Art der Kommunikation zwischen den Arealen im Gehirn? Und wenn ja, für welche Areale trifft dies zu und gibt es zwischen diesen Veränderungen und dem Grad der Behinderung Zusammenhänge?
Dem ist Dr. Fleischer mit seiner innovativen Untersuchung nachgegangen und hat sehr spezifische Hinweise für genau solche Veränderungen gefunden. Während derartige Veränderungen bei den Hirngesunden nicht beobachtet werden konnten, zeigten sich bei den klinisch stabilen Multiple-Sklerose-Patienten, die über ein Jahr verteilt fünfmal untersucht wurden, für ganz bestimmte Areale, nämlich im Stirnlappen und im Schläfenlappen des Gehirns eine Zunahme der von dort ausgehenden Verbindungsstärke, insbesondere zum Kleinhirn. Dabei stellte sich dies bei den fünf Messwiederholungen als kontinuierlicher Anpassungsprozess da.
Personen, die zu Beginn der Studie eine stärkere Behinderung aufwiesen oder verstärkt unter Ermüdungssymptomen litten, zeigten geringere Veränderungen als die, die eine geringere Behinderung hatten. Die kontinuierlichen Anpassungsprozesse im Gehirn, die mit der innovativen Forschungsmethode nachweisbar waren, tragen wahrscheinlich dazu bei, alltagsrelevante Funktionen und ihre Stabilität bei klinisch stabilen Multiple Sklerose-Patienten zu unterstützen.