Der BDH feiert sein 100-jähriges Bestehen: 100 Jahre aktive Unterstützung von Menschen mit Hirnschädigungen und daraus resultierenden Behinderungen, 100 Jahre Neurorehabilitation mit dem Ziel der sozialen Re-Integration und Teilhabe. Auch Professor Dr. Otto Löwenstein war dem Wohl der Hirnverletzten in seiner ärztlichen Tätigkeit verbunden und hat gleichzeitig über Jahrzehnte daran geforscht, wie Krankheiten des Nervensystems mit seinen Funktionstörungen zusammenhängen, und damit, wie Krankheiten des Gehirns Körperfunktionen verändern. Der Otto-Löwenstein-Forschungspreis möchte junge Wissenschaftler*innen prämieren, die durch ihre Forschung für die Neurorehabilitation und Psychopathologie wichtige wissenschaftliche Impulse gegeben haben.
Es gingen auch für den dritten Otto-Löwenstein-Preis zahlreiche Bewerbungen ein. Die Vergabejury bestand aus Professor Nam-Jong Paik, MD, PhD, South Korea, President elect der Weltföderation für Neurorehabilitation, Professorin Lucia Willadino Braga, PhD (Neuropsychologie), Präsidentin der SARAH Network of Rehabilitation Hospitals, Brasilien, Associate Professorin Iris Brunner, PhD, Leiterin der Physiotherapie-Forschung am Hammel Neurocenter der Universität Aarhus, Dänemark und Professor Thomas Platz, Ärztlicher Direktor Forschung BDH und Leiter des Instituts für Neurorehabilitation und Evidenzbasierung, BDH-Klinik Greifswald. Die Jury hat alle eingereichten Forschungsarbeiten in gleicher Weise und unabhängig bezüglich ihrer wissenschaftlichen Methode, der Ergebnisse, ihrer Relevanz für die Neurorehabilitation und ihres innovativen Charakters bewertet.
Unter den Bewerbungen aus Deutschland, Griechenland, Kanada, Indien, Niederlande, Nigeria und den USA ist Dr. Anouk Tosserams mit ihrer weitreichenden Forschung zu Kompensationsstrategien für Gangstörungen bei Parkinson-Krankheit als diesjährige Gewinnerin hervorgegangen.
In einer aufwändigen Fragebogenstudie mit über 4.000 Menschen mit Morbus Parkinson und Gehproblemen aus den Niederlanden und den Vereinigten Staaten fand Dr. Tosserams heraus, dass betroffene Menschen regelmäßig kompensatorische Strategien anwenden, um ihren Gang zu verbessern. In einer Beobachtungsstudie mit 101 Morbus Parkinson-Patientinnen und –Patienten fand die junge Wissenschaftlerin Belege dafür, dass diese Strategien für alle nützlich zu sein scheinen, aber die Wirksamkeit einer bestimmten Strategie auch von Person zu Person sehr unterschiedlich ist. Das zeigten 3D-Bewegungsanalysen zum Vergleich der Gangvariabilität beim kontinuierlichen Gehen mit und ohne Anwendung verschiedener vordefinierter Kompensationsstrategien. In einer weiteren Beobachtungsstudie mit 18 Patientinnen und Patienten verglich Dr. Tosserams deren Gehirnaktivitäten beim kontinuierlichen Gehen auf dem Laufband bei drei vordefinierten Kompensationsstrategien. Sie fand heraus, dass je nach individueller Strategie unterschiedliche Wege und Areale aktiviert werden, und schlussfolgert: „Wir denken, dass beim Gehen mit Strategie bestimmte Umwege im Gehirn durch andere Hirnregionen genutzt werden, um den kürzesten Weg zum Bewegungszentrum zu umgehen, der sozusagen von der Krankheit betroffen ist. Interessanterweise scheint es im Gehirn mehrere Wege zu geben, um das Gehen zu kontrollieren. Dies könnte erklären, warum bestimmte Strategien für den einen funktionieren, für andere aber nicht.“ Diese Studie unterstreicht, so Tosserams weiter, wie unglaublich wichtig es ist, dass die Strategien wirklich individuell "maßgeschneidert" sind.
Als Aufklärungsort und Inspirationsquelle konnte basierend auf diesen Forschungsergebnissen eine interaktive Online-Plattform über Kompensationsstrategien für Gehbehinderungen bei Parkinson entwickelt werden.
Die zielstrebigen Arbeiten von Dr. Tosserams setzen Maßstäbe in der Neurorehabilitation. Die diesjährige Preisträgerin verhilft mit ihrer umfassenden Forschung nicht nur zu einem viel tieferen Verständnis über individuelle Strategien von Parkinson-Patientinnen und -Patienten im Umgang mit Gangstörungen, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse flossen zugleich zeitnah in die therapeutische Ausbildung des niederländischen Parkinson-Netzwerkes und eine gezielte Edukation von Betroffenen ein. Mit der Initiative der dreisprachigen Internetplattform werden sie zukünftig weit über die Landesgrenzen der Niederlande Verbreitung finden können. Das ist ganz im Sinne des BDH-Forschungspreises für neurowissenschaftlichen Nachwuchs, der internationale Impulse für Fortschritte in der neurorehabilitativen Forschung setzt.
Dr. Anouk Tosserams
Kurzvita