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Berichte von Betroffenen

Ein Leben nach dem Unfall 

Mein Alptraum. Die Geschichte, die mein Leben veränderte.

Es gibt Ereignisse mit welchen man nicht rechnen kann und trotzdem können sie innerhalb von Sekunden ein ganzes Leben verändern....

...mein Name ist Sebastian und ich erzähle euch hier die Geschichte, die mein Leben für immer veränderte und mir wie ein nie enden wollender Alptraum vorkam. Jeden Tag habe ich gehofft aufzuwachen, doch ich musste feststellen, dass es aus der Realität kein Entrinnen gibt. Diese Zeit war erfüllt von Schmerz, Leid, Angst, schrecklicher Panik, Selbsthass, aber auch Freude, Liebe und glücklicher Momente. Diese Geschichte ist ein großer Teil meines Lebens und wird wohl nie in Vergessenheit geraten. 

Durch diese Erfahrung habe ich aber drei Dinge gelernt gelernt:

  1. Wer kämpft kann vielleicht verlieren - wer nicht kämpft, hat schon verloren.
  2. Wahres Glück bekommt man nicht geschenkt, man muss es sich erarbeiten und nur dann weiß man es auch wirklich zu schätzen. 
  3. Gesundheit ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Privileg.

Warum?

Warum schreibe ich das alles auf? Ganz "einfach". Vor kurzem bin ich über die Seite von Michael Wolf gestolpert, in der er über seinen Motorradunfall und den damit zusammenhängenden Erfahrungen und Veränderungen erzählt. Auch von der Zeit als er aus dem künstlichen Koma erwachte. (Seite ist mittlerweile leider inaktiv). Ich habe mich in so vielem wieder erkannt. Mir lief es kalt den Rücken runter als ich seine Geschichte las und erfuhr dass ich nicht der Einzige bin, der solch einen Alptraum erleben musste.

Ich nahm Kontakt zu ihm auf und wir tauschten uns telefonisch aus. Auf Wunsch fing ich damit an meine Geschichte aufzuschreiben, um ihm von meinen Erlebnissen zu berichten. Dabei bemerkte ich wie viele "verdrängte" Erinnerungen in meinen Kopf kamen. Ich erinnerte mich an Situationen, Handlungen und Gefühle, die ich aus irgendwelchen Gründen verdrängt bzw. vergessen habe. Manche machten mich nachdenklich, andere traurig aber einiges stimmte mich auch positiv.

Ich dachte, ich hätte dieses Kapitel meines Lebens abgeschlossen. Allerdings stellte ich fest, wie gut es mir tat dieses von der Seele zu schreiben. Das Bedürfnis immer mehr zu schreiben, um zu sehen welche Erinnerungen noch geweckt werden, hielt eine längere Zeit an. Auf diese Weise versuche ich dass alles zu verarbeiten. Ich werde und will diese Geschichte niemals vergessen, aber ich möchte soweit damit abschließen, dass sie nicht mein weiteres Leben bestimmt oder es durch negative Gedanken beeinflusst wird. Doch bis dahin wird es wohl noch ein langer Weg werden.

In diesem Sinne - nochmal danke dafür Michael, du bist ein super Kerl und ich wünsche dir alles Gute für deine Zukunft..

Veröffentlicht habe ich das alles, weil ich mir wünsche andere Menschen damit zu berühren. Ich möchte keinerlei Mitleid. Ich möchte versuchen euch alle damit zu motivieren zu kämpfen, an sich selbst zu glauben und das eigene Leben, sowie die Gesundheit zu schätzen. Vielleicht regt es an über das eigene Leben nachzudenken oder neue Ansichten zu entwickeln. Wie oft jammert man weil es einem "schlecht" geht, ohne zu wissen was leiden bedeutet.

Vielleicht kann ich Menschen in ähnlichen Situationen Kraft geben. Gebt niemals auf zu kämpfen, denn es lohnt sich!

Natürlich habe ich die Seite auch erstellt um den Menschen die mich auf diesem Weg unterstützt haben zu danken.

Ich schreibe ganz bewusst über meine Gefühle und gewähre "intime" Einblicke, damit sich jeder Leser annähernd vorstellen kann wie man sich in solch einer Situation fühlt. Ich glaube kaum dass sich ein Außenstehender vorstellen kann wie ich mich fühlen musste, aber vielleicht regt es manchen zum Nachdenken an und zeigt wie schön es ist gesund zu sein, bewusst zu leben und wie wunderbar selbst die Nichtigkeiten sein können.

Viele Menschen auf dieser Welt haben alles und beklagen sich über absolut unnötige Dinge. Anstatt zu jammern und ihre Gedanken an Dinge zu verschwenden die ihnen fehlen, sollten sie sich an die Dinge erinnern die sie besitzen. Wie oft habe ich mir Gedanken über meinen gelähmten Arm gemacht und habe an Dinge gedacht auf die ich nun verzichten muss? Ich versank sehr oft in Selbstmitleid. Es dauerte eine ganze Weile bis ich gelernt habe an das zu denken, was ich noch habe. Ich kann laufen, bin geistig vollkommen gesund. Ich lebe!

Das Motorrad von Sebastian vor dem Unfall

Über mich

Vor meinem Unfall war ich mehrere Jahre in einem Unternehmen,das Kunststoff herstellt angestellt. Dort war ich nach meiner Ausbildung als Schichtleiter und Anlagenführer tätig. Nach diesem "schweren Zwischenfall" habe ich eine Weiterbildung begonnen, da ich körperlich nicht in der Lage bin meine bisherige Arbeit weiterhin zu verrichten. Die berufsbegleitende, 3 1/2 jähriger Schule zum REFA Techniker für Industrial Engineering habe ich erfolgreich abgeschlossen. Ich war über mehrere Jahre an verschiedenen Projektarbeiten innerhalb der Arbeitsvorbereitung tätig und habe auch im Vertrieb gearbeitet. Aktuell bin ich als Disponent der Feinplanung bei der DB Netz AG angestellt. Das gefällt mir sehr, denn es bringt eine große Verantwortung, aber gleichzeitig ein familiäres Gefühl.

Wie ihr der Seite entnehmen könnt bin ich zudem schon immer sehr verrückt nach Motorrädern gewesen. Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr auf einem motorisierten Zweirad unterwegs gewesen und zwar das ganze Jahr durch. Angefangen mit einer RD50 über die Suzuki GSXF 600ccm in gedrosselter und offener Version, hin zur Yamaha FZR1000 Genesis bis zu meiner geliebten Yamaha R1. Ich hatte nie Interesse daran, ein Auto zu besitzen. Obwohl ich zuvor bereits zwei, drei kleinere und einen größeren Unfall mit dem Motorrad hatte.

Bei den kleinen handelte es sich um Stürze auf losem Untergrund. Zum Glück nur bei geringen Geschwindigkeiten, so dass es bei ein paar Beulen und Kratzern blieb. Es wurde mir auch bereits zwei Mal die Vorfahrt genommen. Beide Male auf der GSXF. Zum Glück trug das Motorrad immer den größeren Schaden davon...

Aber im Jahre 2004 hatte ich bereits großes Glück. Und zwar bin ich mit meiner FZR bei 120 km/h, in die Mittelleitplanke der Autobahn gefahren. Das geschah, weil mir mein Motorradrucksack aufriss und die darin enthaltene Regenjacke in das Hinterrad geriet. Laut Zeugenaussagen rutschte ich mit blockiertem Hinterrad erst quer über die Überholspur und krachte dann in einem relativ spitzen Winkel in die Mittelleitplanke. Danach flog ich ca. 25 Meter über den Lenker. Ich brach mir das Schlüsselbein und riss mir in der linken Schulter eine Sehne, welche das Gelenk stabilisierte. Ich trug für 4 Wochen eine Armschlinge, aber weil ich ein Formular unterschrieb, war ich schon nach einer Nacht im Krankenhaus wieder zuhause und begann die Reparatur meiner damaligen Maschine.... verrückt halt... :-)

Sonst fällt mir nicht viel ein was ich euch von mir erzählen könnte. Lebenslustig, spontan, hilfsbereit und sehr kontaktfreudig. Aber auch meine gelegentliche Ernsthaftigkeit und das rationale Denken gehört zu meinen Eigenschaften.

Der Unfalltag. 16.09.2007

Als ich zu mir kam, wusste ich nicht wo ich war oder was passiert ist. Das Einzige was ich bemerkte war eine Atemmaske in meinem Gesicht und dass ich mich nicht bewegen konnte. Ich war mit mehreren Gurten über meine Brust, Hüfte und Beine fixiert. Meinen linken Arm und mein linkes Bein habe ich komischerweise nicht gespürt. Lediglich ein eingeschlafenes Gefühl in den Zehen und Fingern.

Wo war ich, was war passiert und wer sind diese 2 Typen neben mir? Immerhin sprachen sie über mich, aber ich verstand nicht alles von dem was sie sagten. Was war das? Ich sah dass mein rechter Arm mit einem Metallgestänge verschraubt war.

Warum konnte ich das linke Bein und den linken Arm nicht bewegen? Meine komplette linke Körperhälfte war wie ausgeschaltet. Auch meine Sicht war sehr merkwürdig und angsteinflößend.

Ich dachte, ich wäre in einem Horrorfilm gefangen und dass dies nun der letzte Moment wäre an dem ich noch zu leben hätte.

"Was ist hier los?" sprach ich mit der Atemmaske im Gesicht. Seltsamerweise hatte ich aber das Gefühl, als würden sich meine Wörter bereits im Hals verlieren. Einer der Männer sagte er sei Rettungsassistent. Zudem sagte er, ich hätte vor ein paar Wochen einen Unfall gehabt und seien gerade auf dem Weg von der Uni-Klinik Freiburg in die BDH Kinik in Elzach.

Ich verstand die Welt nicht mehr! Warum erinnere ich mich nicht daran? (Zu diesem Zeitpunkt hatte ich relativ erträgliche Schmerzen und es kam mir vor, als sei es nur ein Traum, aber ich sprach den Sanitäter einige Zeit danach nochmal. Er erzählte mir auch dass ich mit seinem Kollegen Streit anfing, weil ich eine Zigarette von ihm wollte und er sie mir nicht gegeben hatte. :-) Daran erinnere ich mich komischerweise nicht mehr.) An was ich mich aber noch erinnere ist, dass er mir sagte meine Mutter würde mit ihrem Auto hinter uns fahren. Aber das wollte ich ihm nicht glauben und versuchte mit aller Kraft meinen Oberkörper zu befreien. Vergebens. Nicht nur wegen den Gurten, sondern weil ich meine linke Körperhälfte noch immer nicht spüren konnte und meine rechte Seite zu schmerzen anfing.

Nach einer gefühlten Ewigkeit blieben wir stehen. Ich wurde über einen Hof geschoben bis wir an einem Gebäude ankamen. Es ging durch eine Art Foyer und weiter bis in einen großen Raum, in dem sich mehrere Leute aufhielten. Diese konnte ich aber nicht wirklich erkennen, weil meine Sicht noch immer sehr seltsam war. So als wäre ich zwischen zwei Welten gefangen. Auf der einen Seite wirkte es real, aber ich hatte das Gefühl das Leben läuft hinter einer trüben Scheibe ab. Alles war verschwommen, sehr hell und es hörte sich an als hätte ich Wasser in den Ohren.

Ich wurde in ein kleineres Zimmer gebracht. Die Sanitäter machten mich los und hoben mich in ein Bett bevor sie mich wieder fixierten. Es dauerte nicht lange, da kamen mehrere Leute in mein Zimmer. Ich bekam es wieder mit der Angst zu tun und versuchte nach ihnen zu treten, was wegen den Gurten aber nicht möglich war. Kurz darauf erkannte ich eine Person. Meine Mutter. Nachdem mich ein weiterer Mann an verschiedenen Geräten anschloss, kam sie zu mir ans Bett und nahm mich fest in ihre Arme. Ich fragte sie auch was passiert ist und wer diese Leute sind. Sie erklärte mir dass ich einen schlimmen Unfall hatte und diese Männer ein Arzt, mein Vater und mein Bruder seien.

Ab diesem Zeitpunkt fehlen mir wieder jegliche Erinnerungen

Als ich wieder zu mir kam dachte ich, ich sei in einem Naturpark. Ich lag während der Abenddämmerung direkt an einem Tümpel und beobachtete 4 oder 5 größere Krokodile. Ich konnte förmlich das Gras riechen in dem ich lag und der modrige Duft des Wassers stieg mir in die Nase. Plötzlich fingen die Krokodile an mich zu bedrohen und kamen schnell auf mich zugerannt. Ich bekam Panik und ich konnte sogar mein Herz schlagen hören. Ich begann nach den Tieren zu treten. Nach kurzem fühlte ich heftige Schmerzen in meinem rechten Bein bzw. in meinem Fuß. Das war mir in diesem Moment aber egal. Auf einmal sah ich eine Frau neben mir stehen. Sie versuchte mir einzureden dass ich mir das alles nur einbilden würde. "Hau besser wieder ab!"

Auf ein Schlag wurde es hell und die Tiere waren verschwunden. Spinn ich jetzt???

Nach einer fast schlaflosen Nacht, wurde ich wieder geweckt und ich sah, dass ich in dieser Nacht das erste Bett bzw. das Gitter kaputt getreten habe (in den folgenden Nächten folgten 2 weitere, allerdings erinnere ich mich heute nicht daran. Das Foto hatte meine Mutter gemacht. Dies war das zweite Bett. Ich wäre von jetzt auf gleich ausgerastet und hätte grundlos Pfleger bedroht und Gegenstände nach ihnen geworfen).

Sebastian liegt im Krankenbett

Jedenfalls weckten mich 2 Frauen. Es war die Selbige von der vergangenen Nacht und eine weitere junge Frau. Sie entfernten das Betttuch, das Bettgitter, lösten die Fixierungsgurte, hoben mich auf einen kalten Tisch, nahmen mir das Nachthemd ab und deckten mich mit einem Leintuch zu. Dann wurde ich in einen großen Raum geschoben. Weil ich mich wehren wollte aber mein linker Körper noch immer wie ausgeschaltet war, geriet ich wieder in Panik. Plötzlich hörte ich Wasserrauschen. Sie entfernten das Tuch, schoben mich unter eine Dusche und wuschen mich. "Verdammte scheiße, was geht hier ab?" Ich kam mir vor wie in einem Film. Noch immer wirkte alles so irreal, aber trotzdem war es doch so echt. Immerhin spürte ich zumindest an meiner rechten Körperhälfte ihre Berührungen.

Eine der Frauen sagte dass ich es gleich geschafft habe und wieder in mein Zimmer dürfe. Und so war es dann auch.

Dort wartete auch meine Mutter auf mich und ich fragte sie erneut was passiert war. Wieder versuchte sie mir zu erklären, dass ich einen Unfall gehabt hätte. Ich versuchte mich an meine letzte Fahrt zu erinnern. Das Letzte an was ich mich erinnerte war, wie ich mir meine Jacke angezogen, mir meinen Helm und meine Handschuhe geschnappt habe und mein Motorrad warm laufen lies. Außerdem fiel mir ein dass ich in Freiburg war und meinen Kumpel mitnehmen wollte, weil er noch nie mit so einer großen Maschine gefahren ist.

"Scheiße, Phill, ist ihm etwas passiert?" Meine Mutter erklärte mir, ich sei nicht mit ihm, sondern mit meiner Freundin unterwegs gewesen. Komischerweise konnte ich mich nicht an eine Freundin erinnern. "Doch", sagte sie "mit Ulrike". Ich brauchte aber einen längeren Moment bis sie mir wieder einfiel. Ich fing an nach ihr zu rufen, aber meine Mutter sagte es ginge ihr gut. Sie hätte "nur" einen Oberarmbruch davon getragen und liegt nicht mehr in der Klinik. Sie würde später noch zu mir kommen. In diesem Moment kamen mein Vater und mein Bruder ins Zimmer. Diesmal habe ich sie auch direkt als diese wieder erkannt, aber irgendwie waren sie mir doch etwas fremd.

Das Motorrad von Sebastian nach dem Unfall

Ich fragte meinen Vater ob das Motorrad beschädigt sei, aber er antwortete mir nicht. Ich fragte ihn erneut und er antwortete: "Ja, es ist beschädigt, aber denk jetzt bitte nicht daran" Ich sagte darauf nur: "Ach, ist auch nicht so schlimm, dann muss ich halt wieder etwas basteln...das kenne ich ja." Er versuchte mir schonend zu erklären das es da wohl nichts zum reparieren gäbe, da der Aufprall doch sehr heftig war.

Aufprall? Ich sah meine Mutter an und sie erzählte mir: "Ja, du hattest einen wirklich schweren Unfall." Ich war auf einer mir sehr bekannten Landstraße unterwegs und sei mit 100km/h durch eine langgezogene, aber unübersichtliche Kurve gefahren.

"Ein Maisfeld hat dir die Sicht genommen und du konntest nicht mehr reagieren als du den auf der Straße stehenden PKW gesehen hast. Dieser wollte in einen Feldweg abbiegen. Du bist so gut wie ungebremst in den Kofferraum gefahren, Kopf voraus in die Heckscheibe geflogen, bevor du dann wieder auf die Straße gefallen und in der Benzinpfütze des Motorrades liegen geblieben bist. Ulrike ist über dich und das Auto geflogen und am Straßenrand der Gegenfahrbahn liegen geblieben. Ihr ist wie gesagt nicht viel passiert, aber du hattest dir tiefe Schnittwunden im Hals zugezogen, wo man auch Teile deiner Halskette fand. Man musste dich über einen Luftröhrenschnitt beatmen, deshalb fällt dir auch das Sprechen schwer."

"Außerdem hattest einen offenen Bruch am rechten Handgelenk, Hirnblutungen,mehrere gebrochene Rippen, eine ausgekugelte Schulter, Blutansammlungen in der Lunge und vieles mehr."

Meine Beine hatten seltsamerweise nichts abbekommen. Nur einen kleinen Kratzer am rechten Bein, obwohl ich an diesem Tag nur meine Lederjacke und Jeanshosen getragen habe.

Ich fing an zu weinen als ich von dem Unfall erfahren habe. Meine Mutter sagte mir, dass ich mehr als nur Glück hatte. Ein Mann hat mich kurz danach gefunden und mir das Leben gerettet.

Sie erzählte mir auch, dass dieser Mann Thomas heißt und er mehrere Jahre zuvor, auf der gleichen Straße, einen Motorradunfall hatte und er diese eigentlich nie mehr befahren wollte. An diesem Tag aber, befuhr er diese Straße. Genau das war meine Rettung, denn er ist ein gut ausgebildeter Ersthelfer. Jedenfalls erzählte er, dass er kurz nach dem Geschehen eintraf und sofort zu reagieren wusste. Er lief zu dem Auto, sah dass es der Fahrerin und ihren Kindern soweit gut ging und lief zu mir. Er schaffte es mich, mit Hilfe einer weiteren Person am Unfallort, behutsam aus der Benzinpfütze zu ziehen und mir den Helm abzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht ansprechbar. Er versorgte mich so gut er konnte und bemerkte meine weiter entfernt liegende Freundin. Er lief zu ihr und stellte fest dass sie bei Bewusstsein ist und offensichtlich keine schweren Verletzungen hatte. Deshalb kümmerte er sich wieder um mich. Wie gesagt ist er ein gut ausgebildeter Ersthelfer und sogar ein Arzt in der Notaufnahme sagte mir Monate danach dass es ein Wunder war, dass er in diesem Moment da war. Zitat des Arztes: "Wenn jemand mit nur halb so viel Wissen gekommen wäre, hätte man gleich einen Leichenwagen und keinen Krankenwagen schicken können."

"Aber was ist mit der Unfallgegnerin?" "Ihr ist nichts passiert. Am Steuer saß eine Mutter und ihre 2 Kinder saßen ebenfalls im Auto. Diese kamen aus Waiblingen (ca 200km von dem Unfallort entfernt). Eines der Kinder setzte sich kurz vor dem Aufprall auf den Beifahrersitz und wurde wie durch ein Wunder nur knapp verfehlt. Denn da wo er saß, lagen viele Scherben und Teile des Autos sowie meines Motorrades. Sein jüngerer Bruder blieb ebenfalls wie durch ein Wunder unverletzt. Alleine durch die Wucht deines Aufpralls, rollte das Auto weiter bis auf den Feldweg."

Ich fing wieder an zu weinen, weil ich mir solche Vorwürfe machte.

In diesem Augenblick kam Ulrike in das Zimmer. Sie lief direkt zu mir, nahm mich in die Arme, küsste mich und sagte: "Sei ganz ruhig, mir ist nichts passiert und es wird alles wieder gut. Bitte mach dir keine Sorgen, ich bin jetzt da." Und genau damit schaffte sie es auch mich etwas zu beruhigen. Ich sagte: "Ist ok, mir geht es ja gut und ich komme bald hier raus und zurück in unser gemeinsames Leben." Daraufhin fing sie an zu weinen und sagte mir, dass die Ärzte meinen, ich könnte vermutlich die nächsten Jahre nicht laufen. Ich lachte nur und wollte aufstehen, aber schaffte es nicht, weil ich noch immer fixiert war.

Ich versuchte mich loszureißen, aber je mehr ich mich dagegen werte, umso aggressiver wurde ich. Mein linker Arm war zwar gelähmt, aber meine Arme waren dieses Mal beide frei. Ich riss mir alle Kabel von der Brust und warf die Gegenstände, die neben mir auf dem Tisch lagen zu Boden. Ich warf auch einen Ständer, an dem ein Monitor des EKG hing um und beschädigte ihn bzw. machte ihn ganz kaputt.

(weitere Tage sind vergangen, aber ich kann nicht sagen wie lange ich in diesem Trance- artigen Zustand war. Viele Dinge liefen um mich herum ab, aber ich kann nicht genau sagen was Traum oder Realität war)

Langsam kamen mir mehr und mehr Erinnerungen von dem Unfalltag. Ich war vor dem Unfall bei meinem Vater bzw. in der Firma in der er arbeitet. Dort war nämlich Tag der offenen Türe und es ist eine Firma in meinem Berufsfeld, für die ich mich interessierte. Ich war zu dieser Zeit nämlich genau wie er in der Kunststoffbranche tätig. Besser gesagt, ich war Schichtleiter in einer Kunststoffproduktion und hatte zwischen 5 und 15 Personen zu überwachen, unterstützen und führen. Für mich war dies eine Arbeit welche die ich wirklich gerne gemacht habe.

Allerdings wusste ich von diesem Tag nicht viel mehr als das. Ich hatte lediglich ein paar einzelne Bruchstücke diverser Bilder im Kopf. Aber ich erinnere mich an einen Teil der Heimfahrt. Etwa 1 km vor der Unfallstelle, ging ich mit Ulrike in einen Biergarten um etwas zu essen, zu trinken und um die Sonne zu genießen. Mir fiel auch ein, dass ich meine Cola nicht leer getrunken habe. Ich wollte nach Hause um mit unserem bzw. ihrem Hund spazieren zu gehen. Ich weiß nicht genau wieso, aber irgendetwas zog mich nach Hause. Aber das ist das letzte an was ich mich erinnere.

Das nächste was mir einfiel war meine geplante Geburtstagsfeier. Ich sagte meiner Mutter sie solle meinen Kumpels sagen, dass ich die Feier vermutlich verschieben müsse. Aber als sie mir dann sagte dass mein Geburtstag bereits gewesen sei und ich eine Weile im künstlichen Koma gelegen habe, wusste ich nicht wie ich regieren sollte. Ich fühlte mich wie tot, oder besser gesagt ich wünschte diesen Unfall nicht übererlebt zu haben.

Oft wurde ich gefragt, wie ich das Koma erlebt habe. Dazu kann ich nicht sehr viel sagen. Für mich war es wie ein langer Schlaf, bei dem ich mich nicht erinnern kann, wann ich eingeschlafen bin. Abgesehen von den Halluzinationen während der Aufwachphase, erinnere ich mich auch an keine Träume. Es ist als würde ein Stück in meinem Leben fehlen.

Allerdings wurde mir gesagt, dass ich auf bestimmte Personen reagiert hätte. Diese Reaktionen waren anhand der Vitalwerte deutlich zu erkennen. Eine sehr große Reaktion bemerkte man auch durch die Musik. Mein Bruder brachte mir dazu meine CDs mit und setzte mir bei seinen Besuchen Kopfhörer auf.

Manchmal meine ich mich auch an Stimmen zu erinnern. Nicht an den genauen Wortlaut, aber an eine Art flüstern. Ich glaube das war immer in den Momenten, in denen man mich kurz aufgeweckt hatte. Allerdings wurde ich sofort wieder betäubt weil meine Schmerzen zu groß waren.

Jedenfalls hatte ich in den folgenden Nächten weitere, durch die vielen starken Medikamente hervorgerufene Träume, die ich mich bis in den Tag verfolgten. Schreckliche Halluzinationen und Wahnvorstellungen, durch die ich wieder und wieder wahnsinnige Todesängste hatte und mir die Kabel von der Brust oder die Nadel des Tropfs aus meinem Arm riss. Zwei Mal habe ich mir auch den Katheter, welcher durch die Bauchdecke meines Unterbauchs verlief, aus der Blase gezogen. Ich spürte in diesen Momenten nichts als Angst. Alles kam mir so real vor und ich konnte nicht zwischen Traum und Realität unterscheiden. Manchmal passierte es auch, dass ich zwar mein Zimmer und die Menschen wahrgenommen habe, aber dazu waren noch andere unwahre Dinge im Raum oder die Leute waren skurril verkleidet. Nicht nur dass ich oft dachte ich wäre an einem komplett anderen Ort, nein, ich konnte diese Umgebung wahrhaft riechen, hören und fühlen. Es war den Krankenschwestern und -pflegern nicht möglich mich vom Gegenteil zu überzeugen, da diese meist auch nicht als diese zu erkennen waren. Einmal dachte ich z. B. dass ich im tiefsten Urwald bin und die Pfleger in grünen Outfits wären Robin Hood- Figuren. Das klingt im Nachhinein zwar lustig, aber ich schlug mir vor Panik öfters den rechten Arm, die Hand und den Fuß blau. Wie gesagt waren mir die Schmerzen egal, weil ich einfach nur weg wolle. Es kam auch öfter vor, dass ich mich strangulierte, weil ich versucht habe mich irgendwie aus den Gurten zu befreien bzw herauszuwinden. Dieser noch nie verspürte Drang nach Freiheit, ließ mich die Schmerzen vergessen. Selbst wenn ich mich dabei getötet hätte, wäre mir dies lieber gewesen wie diese Gefangenschaft.

Ich kann mich auch nicht erinnern jemals solche Ängste gespürt zu haben. Es waren auch öfter sinnlose Dinge wie z.B. eine CD, die mich verrückt spielen ließen. Ich erinnere mich nicht daran, aber mein Bruder erzählte mir, dass ich irrsinnige Angst vor einer CD bekam. So sehr, dass ich ihn wütend aufgefordert habe diese kaputt zu machen. "Sie ist böse" hätte ich ständig wiederholt. Welche CD es war weiß er leider nicht mehr....

Ich hatte wie gesagt auch viele „Filmrisse“ wo mir mehrere Stunden bzw. Tage wie Träume vorkamen und ich mich nur wenig oder sogar überhaupt nicht mehr erinnern kann und das obwohl ich ansprechbar war. Es ist im Nachhinein immer noch ein komisches Gefühl wenn mir meine Familie davon erzählt....

Irgendwann erlangte ich für einen weiteren kurzen Moment das Bewusstsein und bemerkte dass das Metallgestänge bzw. der Fixateur an meinem Arm verschwunden und ich einen Gipsverband trug. Wann der Fixateur entfernt wurde weiß ich aber auch nicht mehr, obwohl ich dafür für eine weitere Nacht nach Freiburg verlegt wurde.

Die ersten Tage/ Wochen waren wie ein langer Schlaf mit teilweise sehr heftigen Träumen. Zwischendurch wieder ein paar Minuten oder Stunden wach, bevor ich wieder in die Traumphase kam. In meinen Träumen verarbeitete ich sehr viel Vergangenes. Man muss sich das vorstellen wie ein Haufen an Bilder und diese laufen wie ein Film ab, nur in falscher zeitlicher Reihenfolge. Oft redete ich total wirres Zeug, aber trotzdem ergab dies für mich einen Sinn und konnte nicht begreifen warum mich keiner verstehen wollte.

An was ich mich auch gut erinnere ist eine Wanduhr in meinem Zimmer. Ich beobachtete sie ständig und plante jede Bewegung und jeden Klinikablauf Sekunden- genau ein. Wenn ich z.B. spürte dass ich zur Toilette müsse, setzte ich mir selbst darin eine Art "Termin" um nach den Schwestern zu klingeln. Z.B. dachte ich um kurz nach 13 Uhr so was wie "um 13.15 Uhr werde ich klingeln, dann kommen die Leute und dürfen mich um 13.18 Uhr zur Toilette bringen.... usw usw. Total seltsame Gedankengänge. Selbst die regelmäßig verabreichten Spritzen und Tabletten überwachte ich. Auch wenn meine Mutter Abends nach Hause ging und mir sagte sie würde morgen um 10uhr wieder da sein, durfte sie sich keinesfalls verspäten. Um 10.01Uhr fing ich an nach ihr zu rufen und Randale zu machen.

Mir wurde erzählt, dass ich Nachts so laut nach meiner Mutter geschrien hätte, dass man mich bereits draußen im Hof hören konnte. Irgendwie kann ich das nicht ganz verstehen, denn mein damaliges Verhältnis zu ihr war ziemlich angespannt. Das hat sich aber nach dieser Erfahrung geändert.

Zudem habe ich, wie bereits erwähnt, 3 Bettgitter und 2 EKG Geräte zerstört. Ich kann mir nicht erklären woher ich diese Kräfte nahm. Ich habe es z.B. geschafft mein rechtes Bein zu befreien und geschweißte Metallstangen aus dem Bettgitter zu treten. Allerdings erinnere ich mich nur zu gut an diese unendliche Angst, die unzähligen Panikattacken und die daraus resultierenden Wutausbrüche. Aber ich trug nicht einfach nur Aggressionen auf Grund des Unfalls und meiner aktuellen Situation in mir, sondern hasste mich dafür das überlebt zu haben. Ich kann es nicht in Worten beschreiben was ich fühlte, aber ich weiß dass mich dieses Gefühl, in mir selbst gefangen zu sein, psychisch zerstörte. Es kam zu oft vor, dass ich den Drang verspürte mir selbst Schmerz zuzufügen, indem ich mit den Händen gegen das Bettgestell schlug oder dagegen trat. Ich assozierte Schmerz mir der Realität. Zudem pöbelte ich die Ärzte grundlos an, warf die Medikamentendosen oder andere Sachen, die in meiner Reichweite lagen, durch das Zimmer. Als ich einen massiven Holzstuhl in meinem Zimmer entdeckte, überlegte ich mir z.B. wie toll es jetzt wäre wenn ich aufstehen könnte und diesen durch die Fensterscheibe schmeißen würde. Ich hatte lauter kranke Ideen die ich umsetzen wollte, aber nicht konnte und dadurch steigerte sich wieder der Hass auf mich selbst.

Da ich öfter versuchte mich selbst zu verletzen und es dem Personal nicht möglich war mich permanent zu überwachen, kam es sogar soweit dass sie nachts eine oder auch mehrere Matratzen auf den Boden gelegt haben und ich darauf fixiert wurde. Einfach um auf das Bettgitter verzichten zu können, aber es zu vermeiden dass ich mich durch einen Sturtz verletzen konnte. Immerhin hatte ich es dato bereits 4 mal fast geschafft mich komplett aus den "Fesseln" zu befreien.

Nach einer Weile wurden die Medikamente und somit zum Glück auch die Wahnvorstellungen weniger. Auch meine Wutausbrüche und aggressiven Gedanken liesen nach bzw. holten mich immer seltener ein und ich konnte eine sehr anstrengende stationäre Reha beginnen. Ich lag wie gesagt in der neurologischen Klinik in Elzach. Eine der besten Kliniken Deutschland-weit. Vielleicht kennt ihr sie oder habt davon gehört. Neurologische Klinik in Elzach. In dieser Klinik lag auch Johann Traber (Seiltänzer) Er war dort, weil er vom Seil stürzte. Er hat es nach längerer Reha geschafft das Laufen neu zu lernen und heute steht er wieder oben…..ich weiche ab, sorry.

Rehabilitation in der BDH-Klinik Elzach

Zu Beginn dieser Reha fühlte ich mich wie ein totes Stück Fleisch. Ich lag einfach nur in meinem Bett und war nicht in der Lage mich selbst zu versorgen. Morgens wurde mir der Gips in Folie eingepackt und ich wurde dann in einem speziellen Rollstuhl in das Badezimmer geschoben, um dort geduscht zu werden. Dann wurde ich Abgetrocknet, mit nur einem Stück Stoff angezogen, wieder in mein Bett gelegt und gefüttert. Ich glaube nicht, dass sich ein gesunder Mensch vorstellen kann wie erniedrigend und würdelos das ist. Einfache Dinge wie Zähne putzen, rasieren, trinken, essen usw. konnte ich nicht alleine erledigen, sondern benötigte Hilfe dafür. Selbst meine Toilettengänge waren würdelos. Zum Urinieren hatte ich einen Katheter und zum großen Geschäft musste ich nach den Krankenschwestern rufen. Diese setzten mich in den Rollstuhl, halfen mir beim Ausziehen und setzten mich auf die Toilette. Danach wurde ich auch von ihnen sauber gemacht, weil mein rechter Arm, nach dem Entfernen des Fixateurs in Gips und mein linker Arm ja gelähmt war. Ich bin nur glücklich dass diese Dinge von lieben Krankenschwestern erledigt wurde. Sie ließen mir durch ihre liebevolle Art immer etwas Würde und haben es geschafft, dass ich mich nicht noch erniedrigender gefühlt habe. Oft hat mir sogar schwarzer Humor geholfen. Jedenfalls mehr als Mitleid!

Ihr müsst wissen, dass ich immer ein lebensfroher Mensch war, der es auch häufiger mit dem Feiern übertrieben hat, für jeden Blödsinn zu haben war und viele Interessen hatte. Und plötzlich wache ich auf und alles war weg. Alles was ich so gerne gemacht habe, war ungreifbar weit weg. Mir gingen so viele Dinge durch den Kopf, auf was ich nun verzichten muss. Vieles davon nur "Kleinigkeiten", aber ohne meine funktionierenden Arme und Beine unmöglich. Ich versank in sehr starke Depressionen.

Jedenfalls fühlte ich zu diesem Zeitpunkt nichts. Ich wollte einfach nur sterben und war sogar traurig überlebt zu haben. Das schlimmste was ich getan habe war, dass ich meinen Vater gebeten hatte mir ein Messer zu besorgen, da ich selbst den Tod schöner fand wie so ein Leben. Er schaffte mir diesen Gedanken auszureden und ich versuchte meine Wut in Kraft zu kompensieren und in die Reha zu legen. Das war allerdings kein einfacher Weg. Nach außen wollte ich keine Schwäche zeigen, weil Angehörige, Bekannte und meine Freundin irrsinnige Angst um mich hatten. Ich versuchte ihnen Zuversicht und Hoffnung zu geben, behielt in deren Gegenwart stets ein Lächeln im Gesicht und zeigte meinen Willen es zu schaffen. Wenn sich Abends die Türen schlossen, die Lichter gedimmt wurden und es still um mich wurde, war ich mit mir alleine. Ich war gefangen in meinem eigenen Körper und war gezwungen mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Ich stellte mir ständig die Fragen, ob ich eine Chance hatte auszuweichen und fühlte mich sehr schuldig. Außerdem versuchte ich mir mein weiteres Leben in diesem Zustand vorzustellen und dadurch spürte ich oftmals nichts außer der Angst. Abgesehen der Halluzinationen, waren diese Momente das Schlimmste in meiner derzeitigen Situation.

Keiner konnte mir diese Ängste nehmen, genauso wie die Schmerzen die ich hatte. Ich versuchte die Schmerzen vor dem Personal geheim zu halten, da ich auf die starken Schmerzmittel verzichten wollte. Jeglicher Schmerz zeigte mir wenigstens dass ich noch lebe. Aber die durch die Medikamente verursachten Träume bzw. Halluzinationen zeigten mir den Tod bzw. ein Dasein in der Hölle. Des Öfteren spuckte ich die Tabletten wieder aus wenn die Schwestern das Zimmer verließen. Einmal kam ein Arzt zu mir und sagte in einem deutlichen Ton, dass ich die Medikamente endlich schlucken soll und als Antwort spuckte ich ihm die Pillen ins Gesicht. Immerhin wollte ich nicht wieder von diesen Wahnvorstellungen verfolgt werden, denn die machten mich im Kopf total kaputt. Was ich da für höllische Dinge sehen und fühlen musste lässt sich nicht mit Worten beschreiben.

Ich bekam unzählig viele Pillen und "Wässerchen" verabreicht. Manche waren dafür gedacht die Nebenwirkungen der vorherigen zu minimieren oder den Magen zu schonen. Aber das einzige Medikament an das ich mich noch erinnere löste bereits genug in mir aus. Es hieß "Lyrica" und wurde mir verabreicht, um Panikattacken und epileptische Anfälle zu unterdrücken. Leider half mir dies nur bedingt und löste andere Reaktionen aus. Ich hatte z.B. öfter Probleme beim einschlafen, weil meine Gliedmaßen anfingen unkontrollierbar zu zucken und mich so vom Schlaf abhielten.

Wenn ich nachts wach lag, blieben mir nur meine eigenen Gedanken. "Werde ich die Kraft haben das durchzustehen? Werde ich überhaupt wieder gesund? Was wird aus meinem Leben?" Und immer wieder diese Frage warum? "Warum ich; hätte, wäre, wenn...?" Ich konnte und wollte nicht immer schlafen, weil ich nicht wieder diese Träume haben wollte, oder weil ich wieder die durch die Medikamente hervorgerufenen Muskelzuckungen hatte.

Eines Nachts träumte ich von einer Motorradfahrt. Ich glaube auch dass ich auf der Unfallstrecke unterwegs war und wieder war alles so real. Jedenfalls träumte ich von einem Unfall, ähnlich wie ich ihn erzählt bekommen habe. Allerdings sah ich mich selbst aus der Sicht einer 3., weiteren Person. Ich musste auch sehen wie ich noch am Unfallort gestorben bin. Was mich so erschreckte war, dass ich es genossen habe mich sterben zu sehen. Ich dachte nur "Jetzt hast du es geschafft". In diesem Moment wurde ich wach und musste leicht erbrechen. Mir wurde aber auch klar, dass jetzt alles von meinem Willen abhängt. Ich nutzte die innere Wut und jede freie Minute um mein Nervensystem zu aktivieren und meine Muskulatur zu stärken. Ich überlegte mir sogar einfache Übungen wie z. B. habe ich versucht die Decke mit den Beinen etwas anzuheben.

Der erste Erfolg kam dann an dem Geburtstag meiner Mutter. Als sie mich wieder besuchte, sagte ich ihr mit einem traurigen Gesichtsausdruck: "Es tut mir leid, ich wollte dir ein Geschenk kaufen, aber leider konnte ich es nicht." Ich machte mir wirklich Vorwürfe deshalb, aber plötzlich sagte sie: "Mach das noch mal!". "Was denn?" "Du hast gerade einen Finger an der linken Hand bewegt." Ich konzentrierte mich und versuchte es erneut. Und siehe da.... ich war überglücklich als ich sah dass sich mein Zeigefinger bewegte. Ihr könnt euch nicht vorstellen was für ein ergreifendes Gefühl es ist, so etwas zu sehen und zu spüren, obwohl kein Arzt so etwas erwartet hatte. Ich rief nach den Krankenschwestern und Therapeuten um meinen Erfolg und die damit zusammenhängenden Glücksgefühle zu teilen. Meine Eltern, die Krankenschwestern und sogar ein Arzt versammelten sich und beobachteten mit einem breiten Grinsen wie ich meinen Zeigefinger leicht zappeln lies. Meine Mutter und ich konnten uns die Freudentränen nicht weiter zurückhalten. Sie sagte zu mir: "Das ist wohl das größte Geschenk das ich jemals bekommen habe..." Wir fielen uns für lange Zeit in die Arme.

Auch als Ulrike später zu mir in die Klinik kam, waren die Emotionen deutlich zu spüren. Ich versprach ihr alles dafür zu geben, um wieder in unser gemeinsames Leben zu kommen. Sie legte sich zu mir ins Bett und wir hielten uns über mehrere Stunden in den Armen. Ich bin sehr dankbar für sie, denn sie hat mir nie einen Vorfurf gemacht. Sie kann sich sehr gut an den Unfall erinnern und sagte zu mir dass ich keinesfalls zu schnell war. Mit ihr hielt ich mich generell sehr zurück, da sie immer Respekt vor Motorrädern hatte. Jedenfalls hätte ich zwar gebremst, aber definitiv keine Chance gehabt. Leider konnte sie es mir nicht nehmen, dass ich mir trotzdem große Vorwürfe machte. Ihre Gegenwart war mir sehr wichtig und ich schöpfte durch sie viel Kraft.

Ein paar Tage später geschah etwas das ich wohl nie vergessen werde. Dieser Moment war ein weiterer großer Lichtblick für mich. Und zwar lag ich zur Therapie in einem so genannten "Stangerbad". Das ist eine größere Wanne in der Elektroden angebracht sind, so dass leichte Stromimpulse durch den Körper strömen. Das ganze wird gemacht um die Nerven und Muskeln "anzusprechen" und zu aktivieren. Jedenfalls fühlt es sich an, als würde man in einem Ameisenhaufen liegen. Ein stärkeres kribbeln am ganzen Körper. Auf jeden Fall bemerkte ich in diesem Bad, dass ich meinen linken Arm leicht abspreizen konnte. Ein paar cm zumindest. Aber dies konnte mich nicht davon abbringen den Ententanz zu quacken....."la la la la la la la..... und hinter einem Vorhang hörte ich einen Mitpatienten "quack quack quack quack..." Dieser Moment war für mich als würde die Welt anhalten, damit ich diesen lange genießen konnte. Ich wackelte wohl weitere 10 min mit dem Arm und lächelte vor mich hin....

Ein paar weitere Tage später verbesserte sich mein Gleichgewicht im Oberkörper, wodurch ich selbstständig aus dem Bett und direkt in den Rollstuhl gelang. Dies brachte die Ärzte dazu mir zu erlauben, mich innerhalb der Intensivstation alleine zu bewegen. Allerdings wurde ich zu dieser Zeit noch an den Rollstuhl fixiert, weil ich nicht lange sicher sitzen konnte und die Gefahr zu groß war, dass ich aus ihm fallen könnte.

Durch diese erweiterte "Freiheit" lernte ich aber auch meine Mitpatienten kennen und verbrachte auch viel Zeit mit den Schwestern und Pflegern, welche immer versuchten mich weiter zu motivieren. Ich war zu diesem Zeitpunkt sogar "froh" wie es mir ging. Ich hatte z.B. einen Mitpatienten, der mit Schrittgeschwindigkeit von seinem Fahrrad gefallen ist und jetzt ein Leben lang querschnittsgelähmt bleibt und das von dem Hals an abwärts. Dadurch wurde mir wieder bewusst wie viele Schutzengel ich wohl dabei gehabt haben musste, als ich mit 100 km/h auf das stehende Auto auffuhr. Eigentlich durfte ich nicht über meinem Zustand klagen, sondern müsste weiter dafür kämpfen um wieder auf die Beine zu kommen. Abfinden wollte ich mich mit dieser Situation jedenfalls nicht.

Außerdem lernte ich einen Mann namens Michael (28) kennen, der auf Grund eines Schlaganfalls fast blind wurde. Wir freundeten uns an und es kam zu dem Gedanken, dass wir uns eigentlich gut helfen können. Ich habe die Augen und er die funktionierenden Beine. Wir versuchten es einfach. Er schob mich im Rollstuhl und ich lotzte ihn sicher durch die Klinik. Die Krankenschwestern mussten immer lachen wenn sie uns sahen...."der Blinde und der Lahme" waren unsere neuen Spitznamen. Mit der Zeit konnte er wieder leichte Umrisse erkennen und wir durften uns sogar außerhalb der Klinik bewegen. Leider nur im Hof bzw auf dem Grundstück...

Trotz der gelegentlichen "Freude" die ich mit vielen Mitpatienten und dem Personal hatte, hatte ich schreckliche Sehnsucht nach allem und jedem zuhause.

Ja, ich erinnere mich noch sehr gut wie ich stundenlang vor der gläsernen Eingangstüre saß, in die Richtung des Parkplatzes schaute und auf Besuch oder einen Moment wartete, in dem ich flüchten konnte. Aber das Verlassen meines Zimmers war das Einzige was ich alleine durfte. Aber mit nur einer "funktionierenden" Hand und einem funktionierenden Bein war das nicht einfach. Also fuhr ich nur rückwärts und stieß mich mit meinem rechten Fuß ab. Dadurch wurde aber meine Muskulatur stärker und ich durfte das Wunder erleben wieder auf eigenen Beinen zu stehen...

Die ersten Gehversuche nach dem Unfall

... und eine Wochen danach sogar meine ersten eigenen Schritte machen zu können. Ich war noch mit einem Gehstock unterwegs und konnte immer nur ein paar Minuten gehen, aber ich lief und durfte mich innerhab der Station frei bewegen. Immer wenn ich auf dem Flur unterwegs war und mir der Stationsarzt begegnet ist, habe ich "frech" gegrinst und mir gedacht: "Ha, und du dachtest es dauert sicherlich ein paar Jahre.....". Heute sehe ich diese Aussagen der Ärzte als positiv, denn auch das motivierte mich alles zu geben.

Um nach draußen zu gehen benötigte ich Begleitung bzw. musste mich in den Rollstuhl setzen. Ich vergesse auch nie den Gesichtsausdruck als mich mein Bruder Mike im Rollstuhl durch den Klinikpark schob und ich das erste mal vor ihm aufstand. Ich glaube ich habe ihn noch nie so emotional wie in diesem Moment erlebt .

Ich hatte eine solche Freude wieder ein paar Schritte laufen zu können und war mir immer sicherer dass ich noch weitere Fortschritte machen werde. Ich durfte nur nie mein Ziel aus den Augen verlieren. Um meine Schritte weiter zu festigen, schob ich sogar meine Mitpatienten die dies nicht konnten, in ihrem Rollstuhl spazieren. Ich war zu diesem Zeitpunkt so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben. Auch durch die fast täglichen Besuche meiner Freundin bis spät in die Nacht schöpfte ich viel Energie. Sie gab mir genau den Willen den ich in diesem Moment benötigte, auch wenn meine Mutter schon immer etwas gegen sie hatte (anderes Thema). Jedenfalls bewegte es mich ihr in der Kantine einen Antrag zu machen. Sie willigte ein.

Ich machte diese Reha weiter mit aller Energie. Ich hatte das große Ziel bald wieder nach Hause zu kommen und mein Leben weiter zu leben (auch mit unseren Haustieren, Hund, Katze, Chamäleon).

Ich hatte viele verschiedene Anwendungen. Darunter Ergotherapie, Physiotherapie, psychologische Tests wurden gemacht, ich musste an einer Entspannungstherapie teilnehmen, lag öfter in einer Badewanne wo leichte Stromstöße durch meinen Körper flossen, Ergometer (Fitness- Fahrrad) Kunsttherapie mit zeichnen und töpfern.

Sebastian bei der Kunsttherapie

Auch Computertherapie und weitere psychologischen Tests standen auf meinem Plan, da auch mein Gehirn unter dem Unfall gelitten hatte. Ich schätze es ist kein Wunder dass ich öfters Fasen hatte, in denen ich keine Lust mehr hatte. Ich dachte des Öfteren an Selbstmord oder bekam andere dumme Ideen. Zum Glück hatte ich zu dieser Zeit meine Freundin und all diese wunderbaren Therapeuten die sich über meine Erfolge ebenso freuten wie ich. Nach und nach wurde die Fortschritte immer größer und meine Motivation und der Kampfgeist steigerten sich täglich.

Was mir aber sehr zu schaffen machte, war dass mich außer meiner Freundin und der Familie niemand besuchte. Ich dachte, dass ich so viele Freunde hätte, aber wo waren sie nun??

Es gibt nur 5 Besucher an die ich mich erinnere. Der Erste war von mein damals Kumpel Tim, dem ich auch viel zu verdanken hatte, denn die erste Sekunde in der ich selbstständig stehen konnte, geschah in seinem Beisein. Der 2.Besuch war mein derzeit bester Freund Andy mit meiner "kleinen Schwester" Linda. Alleine wegen deren Erscheinen, hatte ich Tränen in den Augen. Der 3. Besuch war Lui mit seiner langjährigen Freundin Steffi. Er erzählte mir von ihren Hochzeitsplänen und dass seine Freundin schwanger sei. Ich musste wieder vor Freude weinen.

Sebastian wird von seinem Freund Phil im Rollstuhl geschoben

Der 4. Besuch war mein Kumpel Phill, der mir unser erstes, kurz zuvor aufgenommenes Lied in die Klinik brachte. Und der 5. Besuch waren Eva und Jenny, zwei weitere gute Freundinnen, die mir zu meiner Freude einen Yufka aus meiner Stammdönerbude brachten. Noch nie hatte er so gut geschmeckt. Was aber noch schöner war, war dass Eva mir einen gläsernen Engel als Glücksbringer schenkte. Außerdem lernte ich meinen Lebensretter, Schutzengel und Helden Thomas kennen.

Er besuchte mich auch kurz nach dem Erwachen aus dem Koma bzw in der Anfangszeit in der Reha. Das war ein sehr bewegender Moment für mich als ich ihn das erste Mal in die Arme schließen konnte. Ich werde mich auch immer an seine coole Baskenmütze erinnern welche er trug. Ansonsten hatte ich nur viel Besuch meiner Familie. Aber für mich waren die fast täglichen Besuche meiner Freundin das Wichtigste. Sie gab mir die Kraft und den Willen das alles zu überstehen. Ich genoss ihre mehrstündigen Besuche, auf der Intensivstation. Auch die Krankenpfleger und -Schwestern merkten wie viel Energie ich dadurch schöpfte und versuchten uns die gemeinsame Ruhe zu lassen bzw. uns nicht zu stören. Oft lag Ulrike sogar in meinem Bett und hielt mich einfach fest. (später erfuhr ich dass die Ärzte, in der Uni-Klinik, sie gebeten haben mich möglichst oft zu besuchen, da ich ihr gegenüber Reaktionen zeigte als ich noch im Koma lag. Alle Vitalwerte wurden durch sie beeinflusst im Normalbereich zu bleiben und es passierte des öfteren, dass wenn sie das Zimmer verließ diese wieder sehr unruhig wurden. Allerdings erinnere ich mich innerhalb der Komazeit an nichts. Weder Träume noch sonst etwas)

Woran ich mich in der Reha auch gut erinnere ist, dass sämtliche meiner Emotionen extremer waren. Ich bin der Meinung, dass wenn jemand dem Tode so nahe war und all dies erleben musste, weiß einfach alles viel mehr zu schätzen. Klar heule ich heute nicht jedes Mal wenn mich jemand besucht, aber die Gefühle der Freude, des Glücks, aber auch der Verletzlichkeit und der Trauer sind stärker als vor dieser Geschichte. Selbst eine einfache Postkarte mit lieben Worten rührte mich zu diesem Zeitpunkt sehr.

In den folgenden Tagen wurden meine Schritte immer sicherer und ich durfte auf eine andere Station wechseln. Von der Frühreha auf die Station Rohrhardsberg. Dort waren Patienten die sich Weitestgehend selbst versorgen konnten. Ich benötigte zum laufen noch immer einen Gehstock oder einen Rollstuhl den ich vor mir her schieben konnte. Die Treppen waren mir verboten worden und auch zu langes Gehen war nicht möglich. Die dortigen Krankenschwestern waren ebenfalls sehr sehr nett.

Dadurch dass ich ein Zimmer im Erdgeschoss hatte und ich wieder ein paar Meter gehen konnte, ging ich Nachts unerlaubt nach draußen und setzte mich auf die Schaukel eines angrenzenden Spielplatz. Der Blick in die Sterne gab mir Kraft und das barfuße Gefühl in dem Sand ließ mich träumen. Ich verbrachte mehrere Stunden an diesem Platz und dachte über mein weiteres Leben nach. "Wie geht es wohl weiter? Schaffe ich es wieder gesund zu werden? Wo sind meine ganzen Freunde und wie werden diese auf mich reagieren?" All diese Fragen liesen mir keine Ruhe. Ich blieb lange im Freien, aber da es mitlerweile Winter war, fing ich an zu frieren. Was mir große Sorge machte war, dass lediglich meine rechte Körperhälfte kalt wurde bzw ich es nur rechtsseitig spüren konnte. Irgendwann nahm ich meine letzte Kraft zusammen und fing wieder auf mein Zimmer zurück.

Ich bewegte mich tagsüber sehr viel in der Klinik und lernte eine menge Patienten kennen. Viele von ihnen hatten einen "harmloseren" Unfall wie ich und die Chancen dass sie jemals wieder auf die Beine kommen, standen schlecht. Irgendwann legte sich ein weiterer Schalter in meinem Kopf um. Ich fing an mir zu überlegen was mir alles passieren hätte können. Die "hätte-, wäre-, wenn,- Fragen aus der anderen Sicht. "Was wenn ich nur ein paar km/h schneller gewesen wäre? Was wenn Thomas, wie die Jahre zuvor, eine andere Strecke gefahren wäre? Was wenn sich das Kind nicht umgesetzt hätte?" usw. usw. Ich wusste es musste Schicksal sein und ich versuchte nur noch an mich und meine Ziele zu glauben. Dazu mobilisierte ich meine letzten Reserven und machte außer den geplanten Anwendungen und Therapien auch "freiwillige" Therapien und Übungen. Meine Schritte wurden immer sicherer weil ich die meiste Zeit des Tages zu Fuß unterwegs war. Ich erkundete die gesamte Klinik und lief täglich mehrere Male durch das ganze Gebäude um die Intensivstation zu besuchen oder um weitere Mitpatienten kennenzulernen.

Und so kam der Tag, dass meine Familie und ich die Ärzte überredeten mich ganz nach Hause zu lassen und sie erlaubten es mir. (Ich durfte zuvor bereits an 3 Wochenenden für jeweils eine Nacht zuhause schlafen, auch weil Weihnachten und Silvester war und ich die Zeit mit meiner Verlobten verbringen wollte.)

16.01.2008, begann als einer meiner glücklichsten Tage, nach den ersten eigenen Schritten, aber als ich dann zum ersten Mal meine Wohnung betrat, brach ich kraftlos zusammen. Ich sah, dass meine Verlobte am Koffer packen war und ein Mann ihr geholfen hat ihre Sachen aus der Wohnung zu holen. Ich saß mit dem Kopf im Schoß auf der Couch und konnte mich nicht bewegen. Ich hörte was gesprochen wurde, aber konnte selbst nichts sagen, denn alles was ich in dieser Situation gemacht hätte, wäre nicht gut ausgegangen... Wenige Minuten danach verließ sie sprachlos die Wohnung. Ihre beste Freundin war auch da. Sie sagte mir dass Ulrike schon seit mehreren Wochen (auch als ich ihr den Antrag machte) einen neuen Freund hatte, aber sie es mir zuliebe nicht sagen konnte bzw. es sich nicht traute. Für mich brach eine Welt zusammen. Sie hatte mir von diesem Mann zwar erzählt, aber immer gesagt dass er ihr nur im Alltag helfen würde. Immerhin hatte sie selbst noch mit ihren Verletzungen zu kämpfen. Der Oberarmbruch erwies sich im Nachhinein doch komplizierter als zuerst diagnostiziert.

Einige Tage nach meiner Heimkehr lies ich es mir nicht nehmen den Ort, der mich aus meinem Leben gerissen hat zu besuchen. Ich machte mich zu Fuß auf den Weg, was zu diesem Zeitpunkt noch nicht so leicht viel. An der Unfallstelle angekommen, konnte ich mir die Tränen nicht zurück halten. Man sah noch immer die Spuren des Unfalls auf der Straße. Wie so oft schossen mir viele Fragen durch den Kopf: Warum ich, warum musste mir das passieren? Habe ich etwas getan um so bestraft zu werden? Es gibt so viele Dinge dich ich gerne gewusst hätte.....hatte ich eine Chance auszuweichen? Was wäre gewesen wenn....usw....in dem Moment ging ich auf die Knie und entdeckte dabei etwas. Ich griff danach und hob es auf. Es war ein Glücksbringer- Kettchen, das ich mir um das linke Fesselgelenk gebunden hatte. Mein guter Freund Andy hatte es mir Jahre zuvor geschenkt und ich trage es heute wieder an meinem linken Fesselgelenk. War dies ein weiteres kleines Zeichen?

Nun folgten noch weitere Operationen....

Der 3. Versuch…

Eine der OPs an die ich mich nicht erinnern kann war ein Eingriff, um mein rechtes Handgelenk zu „reparieren“, aber dieser schlug fehl, weil in meinem Arm und in der Hand noch alles, wegen meiner Wut- und Angstausbrüchen, entzündet gewesen war.Aber das war auch mein Glück. Geplant war eine Handgelenksversteifung, was mich ziemlich eingeschränkt hätte.

Auch die erste OP an die ich mich erinnere, war ein Versuch meine Hand zu retten. Diesmal wollten die Ärzte aus meiner Hüfte ein Stück Knochen entnehmen, um aus diesem ein neues Gelenk für die Hand zu bauen. Es sollte zwar nicht so beweglich und stabil sein, aber diese Option kam mir klüger vor als die zuerst geplante Versteifung des Gelenks, was nun nur noch die 2. Wahl war. Leider schlug dieser Versuch, sowie die der Versteifung wieder fehl.

Jedenfalls folgte kurz nach meiner Heimkehr der 3. Versuch die Hand zu retten. Von der letzten OP bis zu diesem Versuch wurde ein Professor auf mich aufmerksam und brachte die beste Idee die mir hätte passieren können.

"Ein künstliches Keramikgelenk könnte ein guter Versuch sein", meinte er. Es gäbe davon erst 8 Stück in Deutschland, sei noch absolut neu und auch erst einmal von ihnen gemacht worden, aber es wäre ein Versuch wert. Wenn es nicht klappt, könne man die Hand bzw. das Gelenk immer noch versuchen zu versteifen.

Dieses Gelenk trage ich heute noch problemlos in mir. Ich kann es nur zu ca. 30% bewegen und es ist nur gute 5 kg belastbar bis es anfängt unangenehm zu werden, aber ich bin mir heute noch sicher es war das Beste was mir in dieser Situation hätte passieren können.

Danach beschloss ich umzuziehen, weil die Wohnung für mich alleine zu teuer wurde (Maurisette wohnte derzeit kostenfrei bei mir).

Wie so oft in dieser Geschichte, fand ich durch Hilfe meines Vaters eine neue, günstige Wohnung mit direkter Angrenzung zu einer Physiotherapiepraxis, wo ich dann aber alleine hinzog. Ich setzte meine Therapien dort ambulant fort. Ich landete bei einer herzensguten und sehr kompetenten Physiotherapeutin namens Annette. Eine geraume Zeit zuvor arbeitete sie sogar in der Freiburger Uni-Klinik. Unter anderem auch bei dem gleichen Professor, welcher mein Handgelenk rettete.

Jedenfalls war sie mir auch von Beginn an sehr sympathisch. Sie zeigte Interesse an mir und meinem Handicap und nahm die Herausforderung an. Nach einigen netten Therapiestunden in der Praxis, nahm sie sich sogar nach Feierabend oder an Wochenenden die Zeit mich in ein Thermalbad zu begleiten um dort Wassergymnastik bzw. Therapie zu machen und das werde ich ihr auch nie vergessen. Wir konnten die gemeinsame Zeit sehr genießen und verstanden uns von Beginn an super. Nach einer Weile entstand aus dieser Freundschaft mehr und wir waren über 3 Jahre glücklich. Sie wird immer ein wichtiger und großer Teil dieser Geschichte sein. An dieser Stelle noch einmal ein Dankeschön an sie.

Zuvor aber, im Juni 2008, kam ich erneut unter das Messer. Diesmal wurden in einer neunstündigen Operation in meiner linken Schulter, die beschädigten Nerven von den Narben befreit und wieder in die richtige Position gebracht. Die OP lief zwar gut aber die Erfolge waren bzw sind gering.

Am 23.02.2011 wurde dort auch meine linke Hand operiert, mit dem Ziel etwas mehr Funktion zu bekommen. Diese Operation war nicht einfach. Sie verlief zwar sehr gut, aber es stellte sich ein paar Wochen später heraus, dass eine Strecksehne des Daumens gerissen ist. Wie das passieren konnte kann der Arzt oder ich nicht erklären. Immerhin verspürte ich kein Schmerz dabei. Erst bei dem 2. Anlauf konnte auch diese Funktion wieder hergestellt werden.

Vor den Operationen konnte ich die Hand lediglich schließen und das Handgelenk beugen, aber nicht öffnen oder strecken. Deshalb wurde bei beiden Eingriffen Muskeln und Sehnen im Unterarm und Handgelenk umgelegt. Das heißt dass an jedem Gelenk der Finger und des Handgelenkes eine Beugesehne (pro Gelenk sind immer mehrere vorhanden) entnommen wurde und als Strecksehne angeschlossen wurde. Ich kann dadurch meine Hand besser bewegen bzw. Bewegungen machen die mir zuvor fehlten, aber ich muss dazu umdenken. Strecken ist nun beugen, diverse Bewegungen sind vollkommen anders usw.….echt komisch, aber es funktioniert.

Um die Steuerung der neuen Bewegungen zu erlernen, war ich mit meiner derzeitigen Freundin und Physiotherapeutin Annette, für 4 Wochen in einer stationären Reha in Bad Wiessee am Tegernsee.

Langsam will ich zu Ende kommen, auch wenn ich noch sehr sehr vieles mehr zu schreiben hätte. Allerdings ist mir vieles davon zu privat. An andere Dinge kann ich mich nicht erinnern und an manches will ich es auch nicht, da sie mir heute noch Angst machen oder ein negatives Gefühl in mir auslösen.

Ich danke euch, dass ihr die Zeit gefunden habt meine Geschichte zu lesen und hoffe euch damit angesprochen zu haben, um über das eigene Leben nachzudenken. Ich wünsche euch allen aus tiefstem Herzen alles alles Gute und viel Freude in eurem Leben. Es ist ein Geschenk, aber leider wissen das die wenigsten zu schätzen. Mir wurde es dadurch mehr als bewusst.

Vor dem Unfall war ich ein ziemlicher Chaot und hatte kein gesundes Leben. Jedes Wochenende Party und exzessives feiern mit viel Alkohol. Des öfteren auch bis zur Besinnungslosigkeit. Ich habe nie einem anderen Menschen Schaden zugefügt, aber habe vergessen auf mich selbst zu achten. Schulden in großer Höhe (auch durch ständiges Einladen von diversen Leuten) waren das Ergebnis. Jeder hat seine Vergangenheit.... Ich bereue keinen Tag davon, aber bin froh diese hinter mir zu haben.

Auf Grund dass ich nie ein Raser war und nie unter Alkoholeinfluss fuhr dachte ich, ich bräuchte keine Unfallversicherung, geschweige denn eine Vollkaskoversicherung. Noch wenige Wochen zuvor sprach ich mit einem Banker darüber. Meine Antwort: "Brauch ich nicht und leisten kann ich mir das auch nicht, aber kein Problem, mir passiert schon nichts..." Und ein paar Monate später stand ich dann da.... verschuldet und gehandicapt... Ohne die Hilfe meiner Eltern hätte ich keinen Ausweg gefunden und hätte bei den ganzen Kriegen mit den Ämtern und Behörden keine Chance gehabt.

Und deshalb lasst es euch gesagt sein, besonders den 2-Rad Fahrern unter euch, vergesst zu keiner Sekunde wie ihr euch auf den Straßen verhaltet und welche Gewalt ihr in den Händen habt. Es passiert so schnell und meistens dann wenn man es am wenigsten erwartet.

Versteht mich nicht falsch, niiieeemals würde ich jemandem das Motorradfahren ausreden! Immerhin ist es noch immer mein Ziel wieder fahren zu können, aber bitte verliert nie den Respekt davor! Mir war das immer bewusst und trotzdem hat mich dieses Schicksal getroffen. Allerdings hatte ich das "Glück" überleben zu dürfen, was in diesem Falle absolut nicht selbstverständlich war.

Heute feier ich zwei Geburtstage am 16.09. (Unfalltag) und 18.09. (richtiger Geb.tag). Ich bin schuldenfrei und habe zudem eine Weiterbildung zum Techniker erfolgreich abgeschlossen. Natürlich kann ich nicht leugnen dass es in meinem Leben keinerlei Schattenseiten gibt. Mit nur einem funktionierenden Arm ist es verständlicherweise nicht immer leicht, aber ich habe mir mittlerweile genug Kniffe angeeignet um alles alleine meistern zu können. Leider begegne ich immer wieder Menschen, die meinen mir bei allem helfen zu müssen. Ich freue mich immer über die angebotene Hilfe, da es ein Zeichen der Achtsam- und Aufmerksamkeit ist. Unangenehm finde ich es erst wenn jemand meint mir helfen zu müssen und ungefragt in meine Handlung bzw. in Tun eingreift. Natürlich ist das stets gut gemeint, aber oft wird mir erst durch dieses "Mitleid" wieder bewusst dass ich gehandicapt bin. Aus diesem Grund möchte ich auch versuchen jegliche Hilfe abzulehnen. Leider wird man hin und wieder doch "anders" behandelt, was sich nicht vermeiden lässt ob beruflich oder privat. Oft genug erntet man auch seltsame Blicke wenn ich z. B. mir die Jacke anziehe. Das klappt zwar so schnell wie bei jedem anderen, aber sieht vielleicht etwas lustig bzw. umständlicher aus.... Zudem habe ich mich mit meiner köperlichen Verfassung noch lange nicht abgefunden und gehe 3 mal wöchentlich ins Fitness. Die Ärzte glauben vielleicht nicht an den weiteren Erfolg bezüglich meinem gelähmten Arm, aber ich bin davon überzeugt noch mehr aus ihm schöpfen zu können. Dafür kämpfe ich! Wenn ich damals auf die Meinung anderer gehört hätte, würde ich heute noch im Rollstuhl sitzen...

Ich bin davon überzeugt, dass mir diese Geschichte passieren musste, weil ich nicht wüsste wo ich heute wäre bzw. was ich machen würde. Ich habe mich menschlich sehr verändert, denn ich war auf dem besten Weg mein Leben zu zerstören. Ich hatte keinerlei Kontrolle über mich und meine Finanzen, sondern lebte unbewusst in den Tag hinein.

Ich versuche mein Leben zu genießen und nehme meine Umwelt sowie meine Mitmenschen viel bewusster wahr, habe klare Strukturen und feste Ziele vor Augen.

Ich habe das Gefühl, dass es für alles einen Grund gibt. Vielleicht ist dieser im ersten Moment nicht ersichtlich, aber glaubt mir, es gibt keine Zufälle, sondern nur Schicksale….in diesem Sinne- denkt darüber nach.

Für euch alles Gute,

Sebastian

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Sebastian G. für die Erlaubnis, lange Passagen aus seinem eindrucksvollen Blog zu zitieren, den wir jedem zur Lektüre empfehlen, der wissen will, wie schnell sich ein Leben ändern kann und wie lang und steinig der Weg zurück in den Alltag ist.